Prime Time
koreanischen Teilnehmer sein und freute sich, dass sie sich auf diese Weise mal wieder treffen und über alte Zeiten reden konnten.
Thomas drehte den Brief um, auf der Rückseite stand nichts. Dann sah er noch einmal die Papiere durch, Vorschläge für Abflugzeiten und Reisetermine, einen Entwurf des Programms für die zehn Tage, die
dress codes
für die unterschiedlichen Gelegenheiten,
business attire for meetings, casual attire for tours, no jeans at Panmunjom.
Ein Besuch in den Fabriken von Hyundai und Samsung, ein Marsch durch die entmilitarisierte Zone am achtunddreißigsten Breitengrad, ein Treffen mit dem koreanischen Präsidenten, Mittagessen mit dem Finanzminister, Abendessen mit dem Verteidigungsminister, Vorlesungen von einer Reihe von Professoren und einem Nobelpreisträger.
Das ist ja wohl nicht möglich, dachte Thomas und hatte das Gefühl, erst mal an die frische Luft zu müssen.
Er stand auf, griff sich seine Essensbons, um in den Regen zu fliehen. Als er am Fahrstuhl stand und wartete, ging die Tür zum Büro des Ressortleiters auf, und die drei Chefs kamen heraus. Sein Vorgesetzter entdeckte ihn und unterbrach sich mitten in einem vertrauten Lachen mit den anderen.
»Da sind Sie ja«, sagte er laut. »Was wollten Sie denn vorhin?«
Thomas schob die Schultern nach hinten, wühlte in der Jacketttasche nach etwas, was er nicht besaß, und sagte in ruhig informativem Ton: »Nur eine kleine Information. Ich bin als schwedischer Abgesandter zu einem im Herbst in Seoul stattfindenden internationalen Symposium für Führungskräfte eingeladen worden. Das heißt, dass ich die ersten beiden Wochen im September auf Reisen sein werde.
Vielleicht spielt das für Ihre Pläne im Herbst ja gar keine Rolle, aber ich wollte es Ihnen doch auf jeden Fall sagen.«
Die Gruppe war hellhörig geworden, alle Augen ruhten auf ihm. »Ein Symposium für Führungskräfte? Was ist das denn?«
Seinem Chef war das Lachen vergangen, und er bekam den Mund nicht wieder zu.
»Das Fourth International Next Generation Leaders’ Forum«, erklärte Thomas. »Es wird vom Institute for Global Economics und von der Korea Foundation ausgerichtet.
Haben Sie schon mal davon gehört?«
Der Fahrstuhl klingelte, die Türen glitten lautlos auf.
Thomas stieg ein.
»Runter?«, fragte er die Gruppe der Chefs.
Sie schüttelten den Kopf, Thomas grüßte mit der Rechten, und die Türen gingen wieder zu. Als die Kiste sich nach unten bewegte, legte er den Hinterkopf an die Wand.
Ja, verdammt, dachte er. Das war ein Ding.
Der Berg mit schwarzen Müllsäcken türmte sich fast bis zur Decke und versperrte den Eingang zum Schneideraum wie ein Schutzwall.
»Bist du hier?«, fragte Annika und versuchte ein Loch zu finden, durch das sie hindurchschauen konnte.
Als Antwort war hinter dem Berg nur ein Stöhnen zu hören.
»Geh nach rechts, hinter dem Regal mit Monitoren gibt es einen Durchgang«, sagte Anne Snapphane.
Annika ließ Jacke und Tasche in der Türöffnung auf den Boden fallen und kletterte dann vorsichtig über Kabel und Schläuche. Die Luft im Zimmer war wie immer in Schneideräumen knochentrocken, und der statisch aufgeladene Teppichboden ließ ihre Haare fliegen. Die Dunkelheit war staubig und grau, das Licht von den Schirmen und den Energiesparlampen flimmerte blau.
»Was ist das denn?«, fragte Annika und zeigte auf die Müllsäcke. »Das Aufnahmematerial, das beschlagnahmt war.
Ist das nicht der Hammer? Die Polizei hat uns alles in einem heillosen Chaos zurückgegeben.«
Annika sah in den halb vollen Sack hinein, der zu Annes Füßen stand. Dort lagen Videobänder in unterschiedlichen Formaten, vermischt mit Abschriften von Ablaufplänen und einem Haufen Kram.
»Und was machst du?«
»Katalogisieren, archivieren. Ich muss alle Bänder mit Timecodes versehen, damit wir anfangen können, die Sendungen zu schneiden, und das muss ganz schön schnell gehen. Eigentlich wird es morgen erst offiziell, aber die Sendungen starten wie geplant am Samstag.«
»Sie ist ja noch nicht mal begraben«, sagte Annika.
»Sag das mal dem Big Boss in London«, meinte Anne und drückte die Eject-Taste des tragbaren Schneidegeräts auf ihrem Schoß, nahm das Band mit der rechten Hand heraus und schob Sekunden später mit der linken ein neues hinein.
Während das Gerät das Band lud, konnte Anne einen selbstklebenden Archivvermerk auf das erste Band kleben und es dann in eine Schublade werfen. Einen Augenblick später flimmerte es auf dem
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