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Prime Time

Prime Time

Titel: Prime Time Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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ist reingegangen und hat alles kurz und klein geschlagen.«
    Annika betrachtete das Mädchen. Endlich bekam sie ein Bild davon, wie der Abend verlaufen war.
    »Aber dieses Auto, wer war das denn?«
    »Die haben den Popstar abgeholt, und der war wirklich unglaublich voll.«
    »Und die anderen haben nach Michelle gesucht? Warum denn das?«
    »Sie haben sich in der Küche von dem einen Flügel getroffen«, sagte Hannah Persson. »Die fette Frau, wie heißt die noch?«
    »Karin. Sie ist die Produzentin.«
    »Die hat eine Sache erzählt, die passiert ist, als Michelle als Moderatorin angestellt wurde. Es sollten Probeaufnahmen von Michelle und Anne gemacht werden, weil offenbar noch nicht entschieden war, wer von den beiden den Job kriegen sollte. Das Problem war nur, dass Anne eine Stunde zu spät zu der Aufnahme kam, und sich so weder vorbereiten noch schminken konnte.«
    Annika nickte. Sie erinnerte sich an Annes schrecklichen Frust über den Fehler und wie sie geweint und den Idioten verflucht hatte, der ihr die falsche Zeit gesagt hatte.
    »Ja, aber das hatte doch nichts mit Michelle zu tun.«
    »Von wegen«, sagte Hannah, »die fette Frau hat Anne an dem Abend erzählt, wie die Sache wirklich gelaufen ist.
    Michelle hatte nämlich den Zettel mit Zeit und Ort in Annes Postfach gelegt, und die Frau sagte, sie habe ihr absichtlich die falsche Zeit aufgeschrieben, um Anne aus dem Weg zu haben. Anne flippte total aus, fing an zu weinen und hat geschrien, sie würde die verdammte Hure umbringen.«
    Hannah Persson brach in ein nervöses Kichern aus. Annika starrte sie an.
    »Hat sie das gesagt?«
    Das Mädchen nickte.
    »Michelle musste mal die Meinung gesagt werden, da waren sich alle einig, denn jeder hatte ein Hühnchen mit ihr zu rupfen. Also zogen sie los, um sie zu suchen, und am Ende haben sie sie ja auch gefunden …«
    Die Stille im Naziversammlungsraum wurde greifbar, als sich das Bild von Michelle Carlssons Tod vor ihre Augen schob. Die Schatten in den Augenwinkeln wurden immer größer, Annika schauderte es. Die Wände rückten näher, die Hakenkreuze kratzten an ihrer Haut. Vor den vernagelten Fenstern gab ein Auto Gas, fuhr schräg über ihrem Kopf vorbei und ließ den Beton vibrieren.
    Mit einem Mal war ihr alles zu viel. Nicht einen Moment länger konnte sie hier bleiben.
    »Darf ich in der Zeitung von morgen einen kurzen Artikel über dich schreiben?«, fragte sie, stand auf und nahm ihre Tasche vom Fußboden.
    Hannah Perssons Blick öffnete sich, und sie sah Annika aus großen einsamen Augen an.
    »Gehst du?«
    »Ich muss nach Hause, ich habe zwei kleine Kinder«, sagte Annika, und die Sehnsucht schnitt ihr plötzlich wie ein Messer in die Brust.
    »Aber«, sagte das Nazimädchen, »kommst du mal wieder?«
    Ihr Gesicht war offen wie das eines Kindes, die Augen glänzten treuherzig. Die Schatten von der schlechten Beleuchtung ließen ihre Haut schimmern.
    »Nein«, sagte Annika leise, »wahrscheinlich nicht.«
    Hannah Persson stand auf, ihr Blick veränderte sich, die Augen wurden schmal und schwarz.
    »Warum bist du dann gekommen?«
    Annika ging einen Schritt auf sie zu und sah der jungen Frau in die Augen.
    »Du musst nicht so leben«, sagte sie. »Du kannst dir einen Job suchen und eine richtige Wohnung, wenn du nur …«
    »Sag mir nicht, was ich zu tun habe!«, schrie sie.
    Annika wich ein paar Schritte zurück und schlug mit den Hacken an den Türrahmen, so erschrocken war sie über die Aggressivität. Hannah Persson hatte sich wieder zusammengekauert, die Zähne waren gebleckt, das Raubtier war zurück.
    »Ich habe das Recht zu wohnen, wo ich will, und zu glauben, was ich will, verdammt noch mal. Geh zum Teufel mit deiner verdammten Moralscheiße! Verschwinde!
    Verschwinde!«
    Sie nahm eine der Nazipropagandaschriften vom Stapel und warf sie Annika an den Kopf.
    Annika duckte sich, kriegte die Tür auf, stolperte den Flur entlang und floh die Treppe hinauf. Hinter ihr brach die Musik wieder los und jagte sie. Bekämpft das System, bekämpft das System, sie knallte die Eingangstür zu und spürte jetzt nur noch die leichte Vibration der Bässe. Dann blieb sie noch eine Weile auf der Straße stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Durch die Schlitze in den vernagelten Fenstern sah sie schwaches Licht aus dem Kellerzimmer dringen.
    Sie macht, was sie will, dachte Annika. Sie ist für sich selbst verantwortlich, genau wie ich.
    Regentropfen trafen sie in den Nacken, sie zog die Schultern hoch und drehte

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