Prime Time
Bett gehen. Das haben wir doch schon besprochen.«
»Aber ich hab ’n bisschen Angst.«
Thomas kämpfte einen Augenblick mit seiner Müdigkeit, gab dann aber auf.
»Ich habe dich schon drei Mal ins Bett gebracht, Kalle. Nun musst du allein in dein Zimmer zurückgehen. Husch, husch, lauf.«
Und er sah demonstrativ wieder in seine Zeitung.
»Ich will zu Mama. Wo ist Mama?«
Thomas wandte den Blick nicht von den Buchstaben.
»Kalle«, sagte er. »Es ist genug. Wir haben mehrmals unter das Bett geschaut. Da ist nichts. Geh. Jetzt. Ins. Bett.«
Der Junge zog sich zurück, und um das dunkle Loch in der Küchentür schlossen sich die Schatten.
Thomas legte den Kopf in die Hände und sackte in sich zusammen. Er horchte in den Flur hinaus. Stille, grau und kalt. Die Hausverwaltung hatte die Zentralheizung für den Sommer abgestellt, und die Feuchtigkeit des Regens kroch von draußen durch jede Spalte.
Verärgert schob er die Zeitung zusammen. So war es eben, wenn man in einem Mietshaus wohnte. Man hatte nichts zu sagen, stattdessen bestimmte irgendein verdammter Bürokrat darüber, ob man fror oder nicht. Wenn sie wenigstens eine Eigentumswohnung hätten, dann könnte er auf der Eigentümerversammlung ein Wörtchen mitreden und mitbestimmen, aber nein, er saß in einer verdammten kommunalen Mietwohnung.
Er trank den Cognac aus, stand auf, holte die Flasche aus der Vitrine und goss sich noch einen ein.
Dass einen die Kinder aber auch so fertig machen konnten.
Er lehnte sich an die Arbeitsfläche und ließ die Flüssigkeit in dem einfachen Wasserglas kreisen.
Vielleicht hatte er deshalb nicht so viel arbeiten können, wie eigentlich erforderlich gewesen wäre. Er hatte nicht genug Zeit und Energie aufwenden können. Wenn die Kinder nicht gewesen wären, hätte er vielleicht schon längst den neuen Auftrag beim Gemeindetag bekommen, wäre er bereits voll dabei, die Frage der Region zu untersuchen … Vielleicht hätten sie ihn behalten wollen, wenn er mehr Einsatz hätte zeigen können.
Ein Geräusch aus dem Flur ließ ihn erstarren. Er stieß sich von der Arbeitsfläche ab, machte die Tür auf und schaltete das Licht ein.
Der Junge stand ganz hinten in der Ecke, vom Weinen geschüttelt und mit vorwurfsvollen und müden, großen Augen. Unklare und widersprüchliche Gefühle überkamen Thomas.
»Also nein«, sagte er, »was machst du denn hier?«
Er verdrängte die Verärgerung in seiner Stimme und bemühte sich um Geduld. Dann ging er zu dem Dreijährigen und beugte sich herab. Der Junge drehte sich zur Wand.
»Hör mal Kalle, du musst jetzt schlafen, sonst hältst du morgen in der Kita nicht durch, das weißt du doch.«
Er legte seine Hand auf die runde kleine Schulter, das Kind zog sich zurück, zitterte schluchzend.
»Lass mich. Ich will Ma-ha-ma.«
»Okay«, sagte Thomas und nahm seinen Sohn auf den Arm.
»Jetzt reicht es.«
Der Junge brüllte laut, spannte den Körper wie einen Flitzebogen und riss ihn an den Haaren.
»Jetzt hör aber auf!«, schrie Thomas, zog die Hand des Kindes aus seinem Haar, und ein Regen ausgerissener Haarbüschel fiel ihm über das Gesicht.
»Neiiiin«, schrie das Kind und trat und schlug nach ihm.
Ein plötzlicher Luftzug ließ Thomas innehalten. Annika stand im Flur, eine schwarze Silhouette vor dem grellen Licht des Treppenhauses.
»Was ist denn hier los?«, fragte sie gedämpft und zog die Eingangstür zu.
»Er will einfach nicht schlafen!«, rief Thomas und stellte das Kind auf den Boden. Der Junge ließ Decke und Teddy fallen und warf sich seiner Mutter entgegen. Er sah, wie sie Jacke und Tasche auf den Boden fallen ließ und sich mit ausgestreckten Armen hinkniete, so dass der Junge sich in ihre Arme werfen konnte. Sie hockte da, wiegte ihn, murmelte und flüsterte, und nach einer Weile versiegten seine Tränen. Gleich darauf kicherte der Junge, ein gurrendes, fröhliches Lachen, das er mit Thomas niemals teilte. Annika lachte leise und ruhig und strich ihm über das Haar. »Jetzt gehe ich mit dir, und wir zwei bringen Teddy ins Bett«, sagte sie. »Wo ist Teddy?«
Der Junge zeigte störrisch auf Thomas.
Annika sah ihm wütend in die Augen und wandte ihren anklagenden Blick nicht von ihm ab, während sie die Schlafsachen des Jungen einsammelte.
»Du verwöhnst ihn«, sagte Thomas.
»Halt die Schnauze«, sagte Annika leise und mit zusammengekniffenem Mund.
Er biss die Zähne zusammen und merkte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss. Aber sie war schon wieder
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