Prime Time
ausgesprochen gut, eine einfühlsame Nahaufnahme von einem traurigen und ungeschminkten John Essex, gestern in einem Hotelzimmer in Berlin aufgenommen. Der Popstar erzählte Berit Hamrin vom
Abendblatt
von seiner Freundschaft zu dem ermordeten Fernsehstar Michelle Carlsson, was in der schicksalhaften Nacht geschehen war und wie er die Verhöre der schwedischen Polizei erlebt hatte. Fantastisch.
Der Leitartikel handelte von einer Konsumentengeschichte, die als Notnagel für die Mittsommerfeiertage vorproduziert worden war, aber wegen des Mordes an Michelle Carlsson nicht hatte eingebracht werden müssen. Der Artikel dazu stand irgendwo weiter hinten und handelte von gefährlichen Medikamenten: die ganze Liste.
Der Autor des Leitartikels verlangte energische Maßnahmen gegen den Zynismus der Pharmaindustrie. Der Text war nicht gerade ein Bringer.
Der Redaktionschef ließ die Schultern kreisen und blätterte weiter.
Auf der Kulturseite stand hingegen eine gelungene Reflexion über die Zukunft des Fernsehens, mitten in den Solarplexus der Zeit getroffen, wach und geschickt von einem der zeitungseigenen Autoren analysiert.
Das Interview mit dem Popstar folgte auf der Sechs und der Sieben. Die Unterhaltungsredaktion hatte eigentlich verlangt, dass die Sache weiter hinten unter ihrer Überschrift erscheinen sollte, aber Spiken hatte sich durchgesetzt.
Schyman lächelte und strich über die Zeilen.
»Michelle Carlsson war eine wunderbare Frau«, sagte John Essex dem
Abendblatt.
»Wir haben uns ja an dem Abend erst kennen gelernt, aber wir sind einander rasch näher gekommen. Sie besaß einen lebendigen und blitzschnellen Intellekt, wir sind gut miteinander ausgekommen. Es ist ein großer Verlust, dass sie tot ist, sowohl für mich persönlich als auch für das europäische Fernsehpublikum. Sie hatte noch so viel zu geben.«
»Glauben Sie, dass es nach Ihrem ersten Treffen noch eine Fortsetzung der Freundschaft gegeben hätte?«, fragte Berit.
»Ich hätte Michelle gern noch besser kennen gelernt. Es gibt nur wenige Menschen, die sofort mit einem wie mir klarkommen, aber sie konnte das. Wir haben sofort die wesentlichen Dinge miteinander austauschen können, und das habe ich noch nicht mit vielen Menschen erlebt. Außerdem war sie unglaublich schön, ich habe kaum Frauen in meinem Leben getroffen, die sich mit ihr messen konnten, und ich muss sagen, dass ich doch einer Menge Mädchen begegnet bin …«
Die ganze Welt würde dieses Interview kopieren und die Bilder kaufen. Als er Berit gefragt hatte, wie sie den Typen dazu gebracht hatte zu reden, hatte sie nur auf den Paten angespielt und auf Angebote, die man nicht ablehnen kann.
Er hatte nicht weiter nachgehakt.
Schyman trank vorsichtig von dem heißen Automatenkaffee, blätterte um und stieß auf Carl Wennergren, der vor dem Schloss von Yxtaholm posierte.
Der Reporter des
Abendblatt
berichtete über die Tragödie, von der die VIP-Szene Schwedens erschüttert wurde.
Sjölander hatte den Artikel geschrieben, und ehrlich gesagt merkte man ihm an, dass er dabei unter Jetlag gelitten hatte.
Der Text war nicht gerade eine Empfehlung für den Pulitzer-Preis, aber so hatten sie die Sache wenigstens in der Zeitung gehabt.
Schyman blätterte weiter und blieb an Annika Bengtzons Text über die Neonazifrau hängen, die in Katrineholm in einem finsteren Kellerloch wohnte. Die Rastlosigkeit fiel von ihm ab, er wurde in die Beschreibung der jungen Frau und ihrer Ansichten und Vergangenheit hineingesogen, er folgte ihr in die Nacht auf dem Schloss und sah den Tanz der Schatten.
Hinterher rieb er sich die Augen und ließ sich auf den Stuhl sinken.
Gute Arbeit, gut geschrieben.
Dann folgte eine Übersicht über den Stand der Ermittlungen, die auf den Informationen der Polizei, eines Professors für Kriminologie und eines bekannten Strafverteidigers basierte.
Ermittlungen dieser Art, so lernte er, waren wie ein Puzzle mit zwei verschiedenen Zutaten, nämlich den Zeugenaussagen und den Indizien. In diesem Fall waren die Zeugenaussagen offenbar widersprüchlich und unvollständig, was wohl daran lag, dass die Leute entweder betrunken oder überarbeitet gewesen waren oder sich aus Gründen, die mit den Ermittlungen zu tun hatten, selbst schützen wollten.
Immerhin kristallisierte sich inzwischen heraus, dass der Mörder einer der zwölf sein musste, die die Nacht auf dem Schloss verbracht hatten. Die Polizei war überzeugt davon, dass die Lösung irgendwo in dem
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