Prime Time
schwer gefallen, Anne etwas abzuschlagen.
Er hatte irgendwas gemurmelt, das sie als eine Einladung auffasste, und betrat mit dem ganzen Haufen hinter sich den Gang. Die Beleuchtung im Produktionsbereich war schwach, nur die Kontrolllampen der Monitore und Regler waren an.
Der Geruch war jetzt erstickend intensiv, das sanfte Grau der Wände fraß alle Schatten. Er hatte ein paar Mal blinzeln müssen, ehe er Michelle Carlsson entdeckte.
Sie lag in dem engen Raum zwischen dem hinteren und dem vorderen Produktionstisch, direkt vor dem Platz des Sendeleiters. Als Erstes fiel ihm auf, dass sie keine Hose oder Unterhose anhatte. Als Zweites, dass ihre nackten Beine in einem unnatürlichen und unerklärlichen Winkel dalagen. Als Drittes, dass sie einfach viel zu still war. Dann wusste er Bescheid. Noch ehe er die Überreste ihres Kopfes gesehen hatte, war er sicher gewesen. Er war Jäger, er wusste, wie der Tod aussah. Und doch war dies eine neue Erfahrung, das Gefühl so völlig fremd, der Geruch überwältigend anders.
Eine Welle der Trauer und Verletzbarkeit überkam ihn mit ungeheurer Kraft. Er hatte sich schluchzen gehört und wäre fast auf die Knie gefallen.
»Was ist denn?«, hatte Anne Snapphane direkt hinter ihm gesagt, und er hatte sie nicht aufhalten können. Sie hatte die Deckenbeleuchtung angemacht, und der ganze Produktionsbereich war in Licht getaucht worden. Michelles Beine hatten vor dem dunklen Blau des Teppichs kreideweiß und blutleer geleuchtet, der Revolver groß und klobig an ihrem einen Bein, ein Schrei hallte in seinem Kopf wider.
Er schloss die Augen, wollte sich nicht mehr daran erinnern. Machte auf dem Absatz kehrt und wandte sich vom Spiegel ab. Schüttelte den Geruch ab, trat ans Fenster. Der Regen schüttete mit unverminderter Stärke vom Himmel und trommelte wie ein Motor auf das Blech am Fensterbrett. Er sah hinaus. Dort gingen zwei Polizisten um den Bus herum, scheinbar planlos, irrational.
Plötzlich hatte er genug.
Er nahm seine Popelinejacke, band die Schuhe neu, glättete sein Haar und ging durch die Tür.
Die Polizisten sahen erstaunt hoch, als er auf sie zukam. Sie standen da, als wäre es ihr Bus und nicht seiner.
»Wie lange soll das hier noch gehen?«, fragte er.
»Was denn?«, meinte ein flaumig behaarter Jüngling in Uniform.
»Wann kriege ich den Bus zurück?«
»Ich hole mal den Kommissar«, sagte der Flaumige.
Der andere stand ein paar Meter entfernt und sah ihn abwartend an.
»Ich hätte heute Morgen um acht Uhr hier weg müssen«, sagte Gunnar Antonsson durch den Regen.
Der Polizist wandte sich ab.
Stattdessen kam der erste mit einem Mann in Zivil zurück.
»Steigen Sie in den Bus«, sagte der in Zivil. Er trug eine Lederjacke und ein buntes Hemd, streckte ihm die Hand entgegen und begrüßte ihn wie ein ganz normaler Mensch.
Seine Worte ließen Gunnar verstummen und rührten ihn.
Erleichtert und dankbar stieg er die fünf Stufen der Metalltreppe hinauf. Dann trat er durch die Tür, weg von der ganzen Nässe, und hielt inne. Der Weg zum Produktionsbereich war grell erleuchtet und voller Leute.
Zumindest kam es ihm auf den ersten Blick so vor.
»wir durchkämmen den ganzen Regieraum nach Spuren, aber das können Sie sich ja wahrscheinlich denken«, sagte der Bunte. Er nickte kurz. Seine Stimme war unsicher.
»Liegt sie … immer noch dort?«
Der Bunte zog eine Schachtel Zigaretten aus der Brusttasche seines Hemds, fummelte damit herum und sah Gunnar an.
»Ja«, sagte er. »Sie liegt immer noch dort. So, wie Sie sie gefunden haben.«
Gunnar Antonsson sah zu Boden.
»Das muss ein schreckliches Erlebnis gewesen sein«, sagte der Kommissar. »Noch dazu in Ihrem Bus.«
»Das ist nicht mein Bus«, sagte Gunnar plötzlich erregt.
»Er gehört der Firma. Und ich mochte sie. Ich war einer der wenigen hier, die sie mochten.«
Der Polizist nahm eine Zigarette heraus, besann sich dann aber und steckte die Schachtel in die Tasche zurück.
»Wie meinen Sie das?«
»Sie war nett«, sagte Gunnar Antonsson und hörte, dass seine Stimme zu zittern anfing. »Sie hatte immer ein freundliches Wort für einen übrig. Die anderen waren nur eifersüchtig.«
Und dann konnte er sich nicht mehr beherrschen. Die Tränen rollten ihm die Wangen herab. Er wischte sie verschämt mit dem Handrücken weg.
»Was für einen Posten haben Sie hier?«, fragte der Polizist.
Gunnar holte Luft, versuchte sich zu sammeln.
»Ich bin TOM, Technical Operation Manager, und das hier ist
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