Prime Time
verschwitzte Decke ans Fußende des Bettes, schob die Füße in die Feuchtigkeit und starrte nach oben. Die Unruhe quälte ihren Körper, die Warterei war einfach unerträglich. Sie schloss die Augen und atmete stoßweise.
Durch die dünne Wand konnte sie der fröhlichen Geräuschkulisse des Radios lauschen, zwei Moderatorinnen stritten sich und lachten dann. Die Musik hinter ihnen wurde ausgeblendet und durch einen Jingle ersetzt. Dann kam eine Nachrichtensendung.
Die Frau im Studio war offensichtlich nervös. Sicher eine Sommerpraktikantin, der man die Sendungen anvertraut hatte, weil alle anderen an diesem Tag freihaben wollten.
Anne hörte, ohne richtig zuzuhören, von einem Attentat auf einen Bus in der Innenstadt Jerusalems, darauf den O-Ton des Oppositionsführers, der über die Vorschläge zur Regionalordnung sprach, die die Regierung wahrscheinlich im Herbst beschließen würde. Dann kam die Nachricht von Michelles Tod. Anne Snapphane hörte genau hin, doch die Nachricht war nur kurz, sachlich, ohne Spekulationen und an der Grenze zum Desinteresse. Die Journalistin Michelle Carlsson war nach einer Fernsehaufnahme tot im Regieraum aufgefunden worden. Die Polizei ging von einem Mord aus.
Aus Rücksicht auf die weiteren Ermittlungen wollte man den Fall nicht weiter kommentieren – so weit der Pressesprecher.
Die Nachrichtenfrau machte eine kleine Pause, dann berichtete sie über zwei vermisste Männer, deren Segelboot gekentert im Vänern trieb, eine Überschwemmung in Polen und dann das Wetter: Die Kaltfront zog weiter Richtung Süden über das Land, gefolgt von einem neuen Tiefdruckgebiet über dem Atlantik. In Svealand würde es den ganzen Tag regnen, im Tagesverlauf konnten örtlich auch Gewitter vorkommen, gegen Abend würde es von Norden her aufklaren.
Mariana drehte plötzlich leiser, das Wetter in Norrland verschwand fast in der Wand.
Anne Snapphane hatte plötzlich das Gefühl, als würden die Wände näher rücken und sich gegen ihre Lungen pressen. Sie stand mühsam auf, ging um das Bett herum zum Fenster und betrachtete die Brücke und den kleinen Kanal. Dann öffnete sie das Fenster, um ein wenig zu lüften. Sie fuhr zusammen, als der Wind den Fensterflügel erfasste und ihr beinahe aus der Hand riss. Erschrocken zog sie das Fenster wieder zu und hakte es mit zitternden Händen fest. Eine Weile setzte sie sich mit dem Rücken zum Regen an den Schreibtisch. Dann ging sie zur Tür, obwohl sie sicher war, dass sie abgeschlossen sein würde.
Das war sie nicht. Sie machte die Tür vorsichtig einen Spaltbreit auf. Weiter hinten, im Gemeinschaftsraum, konnte sie einige Stimmen hören. Sie sah hinaus, alles war leer und dunkel, aus allen Richtungen kamen gedämpfte Geräusche.
Das Licht aus ihrem Fenster fiel quer über den Flur auf die Tür gegenüber, die von Karin Bellhorn.
Plötzlich fasste sie einen Entschluss. Sie zog ihre Tür lautlos zu, schlich die zwei Schritte zu Karins Tür und öffnete sie.
Die Produzentin saß an ihrem Schreibtisch und blickte erstaunt mit geschwollenen Augen und aufgesprungenen Lippen hoch, als Anne Snapphane ins Zimmer kam und die Tür hinter sich schloss.
»Was, um Himmels willen …«
Sie war im Begriff aufzustehen. Anne legte den Zeigefinger auf die Lippen.
»Ich muss mit jemand reden«, flüsterte sie, »sonst werde ich verrückt.«
»Das dürfen wir nicht«, wisperte Karin zurück, »geh wieder in dein Zimmer.«
Anne Snapphanes Unterlippe, ihre Hände und ihre Arme fingen an zu zittern.
»Tut mir Leid«, sagte sie, »aber ich packe das hier nicht.«
Die Produzentin kam zu ihr, sah sie an und nahm dann ihre Hände.
»Du Arme«, sagte sie leise. »Setz dich ein Weilchen.«
Anne sank auf das Bett, legte die Hände vors Gesicht und weinte. Die Tränen kamen ihr weicher vor, nicht so zehrend wie in der Einsamkeit ihres eigenen Zimmers.
»Verdammte Scheiße«, schniefte Anne, »was für eine verdammte Scheiße. Wie konnte das nur passieren?«
Karin Bellhorn seufzte tief und abgehackt, so als würde sie schluchzen.
»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich verstehe gar nichts mehr.«
»Hast du sie gesehen?«
Anne sah die Produzentin an. Karin strich sich über das graue Haar und wandte den Blick ab.
»Ich habe genug gesehen.«
»Sie war noch warm, aber es war ja auch im Bus warm.
Hast du den Revolver gesehen?«
Die ältere Frau schluckte und nickte.
»In meinem ganzen Leben habe ich noch nie etwas so Grausiges erlebt«, fuhr Anne Snapphane vor. Die
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