Prime Time
fühlst. Du warst schon immer eifersüchtig auf Michelle.«
Mariana war aufgestanden und hielt sich zitternd mit einer Hand an der Armlehne des Sofas fest.
»Ich habe Michelle Carlsson viel länger gekannt als du«, sagte sie mit heiserer Stimme. »Und eins sage ich dir, meine Vorbehalte ihr gegenüber beruhen auf ganz anderen Dingen, als du denkst.«
»Jetzt hör doch auf. Ich bin ja selbst kein bisschen besser.
Ich war jahrelang stocksauer auf Michelle, weil sie den Job vor der Kamera bekommen hat und nicht ich«, sagte Anne, und die Worte sprudelten jetzt nur so aus ihr heraus. »Aber du warst ja nicht einmal in der engeren Wahl. Bist du mir gegenüber deshalb so ablehnend? Weil ich die Alternative war?«
»Es gibt so unglaublich viele wichtigere Dinge, als ins Fernsehen zu kommen«, sagte Mariana von Berlitz mit Nachdruck und setzte sich wieder. »Da draußen existiert eine Ewigkeit, und Michelle Carlsson hat in ihrem ganzen Leben nichts anderes gemacht, als anderen die Möglichkeit zu nehmen, einen Sinn im Leben zu finden.«
Anne Snapphane konnte sich ein Stöhnen nicht verkneifen.
»Meine Güte«, sagte sie, »hat Michelle etwa Botschaften von Gott empfangen?«
Mariana entschloss sich, den lästerlichen Ton zu ignorieren.
»Ich finde es schrecklich, dass immer Leute wie Michelle Carlsson zu Vorbildern für junge Frauen ausgerufen werden«, sagte sie. »Was hat sie denn Gutes getan? Seit ich sie kenne, hat sie nur immer andere mit in den Schmutz gezogen.«
»Und das tolle Vorbild, sollst du das vielleicht sein? Du sitzt hier und verurteilst andere, nur weil du meinst, du wärst was Besseres. Weil du auf einem Gut geboren bist oder den Heiligen Geist auf deiner Seite hast.«
»Nicht ich richte, sondern der Herr.«
Die Worte waren hart, aber Marianas Blick wirkte ängstlich. Anne wusste, dass sie ins Schwarze getroffen hatte, die Wahrheit hatte die Wand des Hohns zerschlagen. Sie fühlte sich wie berauscht.
»Man kann über Gott denken, was man will, aber man hätte ein paar seiner PR-Berater auf seiner Seite haben sollen«, murmelte sie, den Tränen nahe.
»Das trifft ja wohl auch auf dich zu«, sagte Stefan Axelsson plötzlich zu Anne. »Du spielst hier die Freie und Offene, aber eigentlich bist du die Spießigste von uns allen.«
Vor Wut wurde ihr für einen Moment schwarz vor Augen.
»Was willst du damit sagen?«
»Du kokettierst mit deiner freien Beziehung zu deinem Typ, Kind und Bett miteinander teilen, aber ohne Verantwortung zu übernehmen, du hältst dich selbst für ein Vorbild und lässt dich für die ›Zu Hause bei‹-Seite in Tratschblättern abbilden.«
Die Rohheit riss Wände in Annes Kopf ein und ließ sie plötzlich Zusammenhänge begreifen, die sie vorher nicht gesehen hatte.
»Ach du Scheiße«, sagte sie mit weit aufgerissenen Augen.
»Du bist also auch neidisch, und zwar nicht nur auf Mehmed, der auf dem Bildschirm sein darf, sondern auch auf mich, weil ich in der Sonntagsbeilage des
Abendblatts
als ein Beispiel für die neuen Familien porträtiert worden bin. Armer Stefan.«
»Du bist doch total krank«, sagte er. »Ich rede hier von völlig anderen Sachen, von Pflichten und Verantwortungsgefühl, und dass man sich nicht in Luft auflöst, wenn es darauf ankommt.«
»Du warst in Michelle verliebt«, murmelte Anne und ging ein paar Schritte auf ihn zu. »Du wolltest deine Frau und die Kinder verlassen, um mit ihr zusammenzuleben, aber sie hat dich nur ausgelacht, war es nicht so? Eigentlich wollte sie nur, dass du sie respektierst, sie wollte, dass du aufhörst, im Regieraum Scheiße über sie zu labern, und da hat sie das Einzige gemacht, was ihr einfiel, sie hat die einzige Methode angewandt, die sie beherrschte: Sie hat mit dir gevögelt, hat dich um den kleinen Finger gewickelt, aber es ging schief, nicht wahr? Es hat dich richtig erwischt, hast du das deiner Frau eigentlich schon erzählt? Was hat sie denn gesagt?«
Der Mann war blass geworden und starrte sie mit glasigen Augen an.
»Das ist … so war es nicht.«
»Nicht? Woher kommt denn dann deine verdammte Verbitterung? Du kannst mir ja nicht mal ein dreispaltiges Bild im
Abendblatt
gönnen. Oder Mehmed die Position als Moderator. Er ist Jurist und Journalist und hat den Großen Journalistenpreis bekommen – zwei Mal! –, und du weißt genauso gut wie ich …«
»Du!«, schrie der Sendeleiter und sprang mit einer Kraft auf, die man seinem mageren Körper gar nicht zugetraut hätte. »Ich habe dich gesehen!
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