Prime Time
veröffentlicht wird, nachdem Sie ermordet wurden?«
Sie sah ihn durch einen Schleier des Entsetzens und des Misstrauens an.
Erst ein unangenehmer Spionageauftrag. Und jetzt das hier.
»Und Mariana«, gab sie zu bedenken. »Was sagt denn die Polizei dazu?«
»Keine Ahnung.«
Ein paar Augenblicke lang gingen Gedanken und Reaktionen völlig durcheinander.
»Hören Sie«, sagte sie schließlich, zog die Tür zur Hälfte auf und sprach leiser. »Was immer Sie vorhaben, verlieren Sie verdammt noch mal nicht Ihr Urteilsvermögen«
Sie ging zu ihrem Platz zurück und merkte, dass ihre Hände zitterten. Menschen tanzten auf ihrer Netzhaut, Geschlechtsverkehr, Alkohol, Waffen. Sie schämte sich für ihre eigene Reaktion.
Dann sank sie auf ihren Stuhl, sah hoch und beobachtete, wie der Redaktionschef die Tür aufzog und zu Pelle Oscarsson am Fototisch ging.
»Können Sie bitte dafür sorgen, dass die Bilder hier drin gelöscht werden?«, hörte sie ihn sagen und sah aus dem Augenwinkel, wie er den Apparat auf den Schreibtisch des Bildredakteurs legte.
»Wieso?«, fragte Bild-Pelle, den Blick fest auf den Bildschirm vor sich gerichtet. Seine Stimme war zwischen den rauschenden Computerventilatoren kaum zu hören.
Sie stand schnell auf und tat, als wollte sie auf Toilette gehen.
»Da ist ein Haufen mieser Bilder drauf, die nicht in die Redaktion gelangen sollen«, sagte Anders Schyman und warf ihr einen strengen Blick zu, als sie vorüberging.
Der Bildredakteur schaute mit einem etwas abwesenden Blick auf.
»Ist das eilig? Ich bin gerade mit dieser Grafik hier beschäftigt.«
»Machen Sie es so bald wie möglich«, sagte Anders Schyman, sah Annika nochmals an und marschierte dann wieder in sein Zimmer.
Sie ging schweigend weiter, mit feuchten Händen.
»Kaffee?«
Anne Snapphane schüttelte den Kopf. Sebastian Follin goss sich einen Plastikbecher voll ein. Anne bemerkte zwei Kratzwunden auf seiner Wange, die ihn aber nicht weiter zu bekümmern schienen. Die Verzweiflung, die sie bei Michelles Manager unmittelbar nach dem Mord bemerkt hatte, schien sich zu verflüchtigen. Stattdessen war er von gesammeltem Ernst, er hatte eine Aufgabe zu bewältigen, eine Erinnerung zu verwalten.
Im Tod wie im Leben, fuhr es ihr durch den Kopf.
»Der nächste Schritt ist wirklich wichtig«, flüsterte Sebastian Follin und lehnte sich vertraulich zu ihr hinüber.
Der Dampf aus dem Kaffeebecher ließ seine Brille beschlagen.
Anne wich ein wenig zurück.
»Wie meinen Sie das?«
»Es geht darum, das Warenzeichen zu sichern. Jetzt werden viele Leute von Michelle Carlsson profitieren wollen, aber das muss man mit Würde und Weitsicht angehen.«
Anne starrte den Mann an. Sie konnte einfach nicht begreifen, was er da zu ihr sagte.
»Wissen Sie eigentlich, was Sie da sagen?«, fragte sie mit viel zu schriller und lauter Stimme. »Sie reden von ihr, als sei sie ein Logo.«
Der Manager sank in sich zusammen, seine Unterlippe begann zu zittern.
»Ich will doch nur das Beste«, sagte er.
»Für wen?«, fragte Anne, die plötzlich unangenehm berührt war. Sie wandte sich ab, ließ den Blick über die Kantine und durch die Glaswand zur Redaktion schweifen.
Karin Bellhorn saß vorgebeugt auf dem Sofa neben ihrem Arbeitsplatz und sprach leise mit Mariana von Berlitz und Stefan Axelsson. Anne eilte hinüber, ihre Wangen waren blass.
»Ich werde einfach das Gefühl nicht los, dass das alles ein Komplott ist«, sagte Mariana gerade zu den anderen, als Anne hinzukam. »Jeden Moment wird der Trailer losgehen, und dann kommt sie rausgelaufen, frisch abgespeckt und super gestylt. Meine Güte, was für Zuschauerzahlen sie dann kriegen würde!« Anne Snapphane sah ihre Kollegin fassungslos an.
»Das kann doch nicht dein Ernst sein«, hörte sie sich sagen.
»Wieso?«, fragte Mariana. »Ich werde doch wohl noch sagen dürfen, dass mir das alles wie ›Verstecke Kamera‹ vorkommt.«
Anne merkte, dass ihr Mund einfach redete, sie konnte ihn nicht bremsen, wollte es auch gar nicht.
»Musst du sie auch noch nach ihrem Tod verhöhnen? Hast du sie so gehasst, nur weil sie auf dem Bildschirm sein durfte und du nicht?«
Mariana von Berlitz wurde blass.
»Was … sagst du da? Bist du nicht ganz dicht?«
Anne merkte, dass sich die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sie richtete. Ihre Worte hingen noch in der Luft, unbegreiflicherweise ausgesprochen und so wahr, dass sie lähmend wirkten. Das Blut stieg ihr in den Kopf.
»Steh doch zu dem, was du
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