Prime Time
Ich habe dich um Viertel nach drei vor dem Bus gesehen. Was hast du da gemacht, verdammt noch mal?«
Anne Snapphane verschlug es die Sprache, sie rang nach Luft und starrte Stefan Axelsson an.
»Und wo warst du, und was hast du da gemacht?«, fragte sie schließlich.
Der Sendeleiter hob abwehrend beide Hände.
»So«, sagte Karin Bellhorn laut und streng. »Jetzt ist Schluss. Jetzt beruhigen wir uns mal ein wenig. Wir wissen ja nicht mehr, was wir reden. Es ist Sache der Polizei rauszufinden, was passiert ist. Es wird doch nicht besser, wenn wir anfangen, uns zu beschuldigen und gegenseitig zu verdächtigen. Können wir uns vielleicht darauf einigen?«
Alle sahen in unterschiedliche Richtungen, zu Boden, aus dem Fenster, an die Decke oder die Wände.
»Heute lassen wir es ruhig angehen, wir werden die Gedenksendung am Dienstag durchsprechen und versuchen, ein paar Arbeitsaufgaben zu verteilen. Aber zunächst möchte ich fragen, gibt es jemanden, der das Gefühl hat, einen Psychologen zu benötigen? Einen Therapeuten? Ein Krisengespräch?«
Alles war zum Stillstand gekommen. Sebastian Follin war in der Tür zur Kantine stehen geblieben, grauer Anzug, Kaffeebecher in der Hand. Mariana von Berlitz stand im demonstrativ ausgewählten roten Kleid neben dem Sofa.
Stefan Axelsson trug Jeans und Collegepullover und war unter den Armen schweißnass. Anne Snapphanes flammend rotes Gesicht wurde immer blasser.
»Niemand? Es gibt keinen Grund, sich dafür zu schämen.
Ich glaube, ich werde jemanden konsultieren.«
Die Produzentin schloss einen Moment die Augen und strich sich in einer unbewussten verinnerlichten Geste das Haar aus der Stirn. Anne, die von einem berauschenden Wahrheitsdurst beseelt war, beobachtete sie eine Weile.
Karin Bellhorn war stärker geschminkt als sonst, die Haut unter der Creme war grau. Unter den Augen hingen Tränensäcke, die kein Make-up der Welt verbergen konnte.
Es geht ihr richtig schlecht, dachte Anne. Ihr geht es am schlechtesten von uns allen.
»Warum tust du so, als ob uns das nichts anginge?«, fragte sie. Karin schluckte und versuchte zu lächeln.
»Ich habe gerade allen Hilfe angeboten, die Unterstützung brauchen.«
»Hör doch auf!«, schrie Anne und machte eine ausladende Geste mit dem Arm, so dass Sebastian Follins Kaffeebecher in hohem Bogen gegen die Glaswand flog. »Michelle ist tot!
Sie liegt in kleinen Stückchen in der Gerichtsmedizin, und wahrscheinlich hat es einer von uns getan!«
Die Stille war ohrenbetäubend, die Atmosphäre eisig. Nur das Tropfen von Sebastians Kaffee war noch zu hören. Der Gedanke, der die ganze Zeit im Raum geschwebt hatte, war zum ersten Mal ausgesprochen worden.
Wer auch immer. Einer von uns.
»Habt ihr ohne mich angefangen?«
Der Highlander kam vom Fahrstuhl her, frisch geduscht und locker den Aktenkoffer schwingend.
»Ich habe mit London konferiert, wir sind uns einig.«
Er setzte sich auf einen Bürostuhl, legte sich den Koffer auf den Schoß und ließ die beiden Schlösser gleichzeitig aufschnappen. Dann nahm er ein paar Blätter heraus, schlug den Koffer wieder zu und legte den Stapel darauf.
»Wir fangen mit einer großen Gedenksendung für Michelle an«, sagte er, »ganz konzentriert, aber trotzdem leicht.
Ausschnitte aus allen Sendungen, Gäste, die was sagen, Freunde, die von ihrem Engagement erzählen für … ja, alles, wofür sie sich eben so engagiert hat. Das kann ruhig ein bisschen ausufern, da können Künstler und Schauspieler kommen, vielleicht ein paar Gedichte oder ein kleines Theaterstück. Nur Werbung, die Michelle gut gefunden hätte, was denkst du eigentlich über John Essex, Karin? Glaubst du, dass er kommen würde?«
Die Luft war schwer, als der Geschäftsführer von TV-Plus verstummte. Auch die Bräunungscreme konnte seine wahre Gesichtsfarbe nicht länger verbergen. Die Blicke glitten aneinander vorbei, man wich einander aus. Verspannte Schultern, trockene Kehlen. »Highlander«, sagte Karin Bellhorn schwach, »wer hat sich das denn ausgedacht? Der Big Boss in London?«
Das Lächeln des Geschäftsführers flackerte ein wenig, erlosch jedoch nicht.
»Ich will nur weiterarbeiten«, sagte er, »den nächsten Schritt machen.«
»Nicht so hastig«, sagte Karin Bellhorn und stand auf. Ihr mächtiger Körper schwankte langsam auf den Chef des Senders zu. »Wir haben gerade ein wenig über Michelle geredet, wie wir sie sahen und was wir denken. Was meinen Sie denn?«
Das Lächeln verschwand und ließ
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