Prime Time
doch keine Not. Man muss mich nicht retten.«
Die alte Frau schüttelte langsam den Kopf.
»Thomas, der immer alles selbst kann. Manchmal frage ich mich, ob du dich nicht übernommen hast.«
Er knallte den Balsamicoessig auf den Tisch und spürte, wie sein Adrenalinspiegel stieg.
»Was meinst du damit?«
»Nichts«, beeilte sie sich zu sagen, »es scheint nur alles so viel zu sein, mit den Kindern und der Wohnung. Weißt du eigentlich inzwischen, ob du deine Stelle behalten kannst?«
Er legte die Handflächen auf die Spüle und spürte die Kühle seine Arme hochkriechen. Er atmete schnell.
»Nein«, sagte er, »aber vielleicht kriege ich nächste Woche Bescheid.«
»Es ist doch komisch, dass man so etwas nie rechtzeitig erfahren kann«, sagte seine Mutter verärgert. »Ich meine, man muss doch sein Leben planen können, vor allem wenn man Familie hat.«
Im Grunde sollte er nicht wütend werden. Vielleicht sagte sie das aus Fürsorge oder um ihn zu unterstützen, aber er wusste es besser.
»Also, wenn es etwas gibt, worum ich mich im Moment nicht kümmern kann«, sagte er mit Nachdruck und stellte die Soße auf den Tisch »dann sind das Sorgen um eine mögliche Arbeitslosigkeit.«
»Aber wovon wollt ihr denn leben?«
Ihre Stimme zitterte, in ihr lag viel mehr als nur die Angst, dass er kein Geld mehr verdienen könnte.
»Mama«, sagte er leichthin, »wenn es nicht anders geht, muss ich wohl wieder irgendwo Stadtkämmerer werden. Das wäre doch nicht so schlimm, oder?«
Er wusste, dass seine Mutter ihn am liebsten wieder auf einer festen Stelle sehen würde, am besten in Vaxholm, der Top-Mann der Gemeinde in Sachen Finanzen, der mit den öffentlichen Geldern schaltete und waltete.
»Solche Stellen wachsen nicht auf den Bäumen«, sagte sie stur. Er lachte.
»Wenn du wüsstest, was für Angebote ich bekomme.«
»Du musst mir nichts vorspielen, Thomas.«
Plötzlich konnte er seinen Ärger nicht länger herunterschlucken. Er kochte vor Wut, knallte das Fleisch auf den Tisch, dass das Geschirr nur so hüpfte, und schrie ihr ins Gesicht.
»Ich bin zufrieden mit meinem Leben!«, brüllte er. »Ich liebe meine Kinder, und ich liebe Annika. Sie ist ein richtiger Mensch, Mutter, nicht so eine verdammte vertrocknete Fotze wie Eleonor!«
»Pass auf, was du sagst«, sagte sie schockiert.
»Warum denn?«, schrie er. »Du passt doch auch nicht auf, was du sagst, sondern lässt jeden Mist einfach raus. Siehst du nicht, wie du Annika verletzt, wenn du andauernd auf ihr herumhackst? Wenn du sie mit Eleonor vergleichst? Wenn du unsere Wohnung mit dem Haus vergleichst? Unsere Art Urlaub zu machen? Du kritisierst die Kinder, die können es dir nie recht machen, oder? Weil Annika sie geboren hat und nicht Eleonor. Aber weißt du was, Mutter, sie wollte keine haben! Eleonor wollte nie Kinder haben! Ich wäre niemals Vater geworden und du niemals Großmutter.«
Aus dem Gesicht der Mutter war alle Farbe gewichen. Ihre Wangen waren fahl, sie fasste sich ans Herz und versuchte aufzustehen. »Ich glaube …«, sagte sie. »Ich glaube … ich muss mich ein wenig ausruhen.«
Er fing sie im Fallen auf und umfasste wie ein Rettungsschwimmer ihren Brustkorb.
»Holger!«, brüllte er. »Holger!«
»Was ist denn los?«, sagte sein Bruder von der Veranda, schaute in die Küche, erfasste die Situation und eilte herbei.
Gemeinsam trugen sie ihre Mutter auf das Sofa im Wohnzimmer. Sverker, Holgers Lebensgefährte, der Arzt war, beugte sich über die alte Frau und kontrollierte Puls und Atmung.
»Was ist denn passiert?«, fragte er.
»Wir … wir haben uns gestritten«, sagte Thomas, der sich plötzlich matt und schwindelig fühlte.
Die Mutter tastete mit einer Hand, die Augenlider flatterten, und sie stöhnte.
»Du solltest ein wenig Rücksicht nehmen«, sagte Sverker mit kaum verhohlener Kritik.
Thomas ging auf die Veranda, an seinen Kindern vorbei, in den Regen hinaus.
Am Telefonhörer klebte Schweiß, und zwischen zwei Gesprächen wischte sie sich das Ohr trocken.
»Sie war nicht unbegabt. Im Gegenteil. Unruhig vielleicht, immer etwas zu laut. Ich hätte nie gedacht, dass sie zu den Nazis gehen könnte.«
Annika machte sich Notizen und lauschte dem Klassenlehrer von Hannah Persson in seiner Beschreibung des Mädchens. Ein stabiles Zuhause, ein Bruder, der Skinhead wurde, die Unfähigkeit, sich zu konzentrieren und Kontakte zu knüpfen, was einen Keil zwischen sie und die gleichaltrigen Mädchen trieb.
»Ich glaube, sie
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