Principia
Kunststück! Ihr solltet ihn ausstellen!«
»Was glaubt Ihr denn, was ich gerade tue?«
»Wie war das Wetter gestern?«, erkundigte sich Peer auf Französisch bei Dappa.
»Morgens war es scheußlich und verregnet«, erwiderte Dappa. »Am Nachmittag, dachte ich, würde es aufklaren, aber es blieb leider bis zum Einbruch der Nacht bedeckt. Erst als ich mich zum Schlafengehen anschickte, sah ich allmählich Sterne zwischen Wolkenlücken hervorscheinen. Dürfte ich Euch um einen Zwieback bitten?«
»Potztausend, der französische Pirat, der ihm diesen Kniff beigebracht hat, muss ein gebildeter Mann gewesen sein!«, rief Peer aus. Dann setzte er eine Miene auf, als dächte er nach. Daniel hatte in seinen fast siebzig Jahren gelernt, nicht viel von Leuten zu erwarten, die eine solche Miene aufsetzten, denn eigentlich war das Denken etwas, was man ständig tun sollte. »Man sollte meinen, dass es keinen Sinn hat, ein Gespräch mit jemandem zu führen, der nicht versteht, was er sagt. Und doch hat er das Wetter von gestern besser beschrieben, als ich es könnte! Ich glaube sogar, ich werde seine Formulierung in der morgigen Ausgabe verwenden!« Abermals die gedankenvolle Miene. »Wenn er andere Erlebnisse – wie etwa sein tête-à-tête mit der Herzogin – ebenso wahrheitsgetreu schildern könnte, wie er sich an das Wetter erinnert, würde das mein Interview mit ihm ungemein erleichtern. Ich hatte mich darauf vorbereitet, es komplett in Grunzlauten und Zeichensprache zu führen!« Und Peer tätschelte ominöserweise ein in seiner Hüfttasche steckendes Notizbuch.
»Ich vermute, dass man jedes Mal, wenn man abstrakt spricht – also meistens -, in Wirklichkeit mit irgendeiner Art von Bild interagiert, das der Verstand enthält«, sagte Dappa. »So herrscht beispielsweise hier im Kit-Cat Clubb nicht das Wetter von gestern. Weder spüre ich den Regen von gestern auf meiner Haut, noch kann ich mit den Augen die Sterne von gestern Abend sehen. Wenn ich Euch diese Dinge (auf Französisch oder in sonst einer Sprache) schildere, führe ich im Grunde genommen so etwas wie ein inneres Gespräch mit einem in meinem Gehirn gespeicherten Bild. Es ist ein Bild, das ich auf Verlangen heraufbeschwören kann, wie etwa ein Herzog verlangen könnte, dass man ein bestimmtes, ihm gehörendes Gemälde aus der Dachkammer nach unten schafft. Sobald es vor meinem geistigen Auge steht, kann ich es sehen, als wäre es da, und es beschreiben.«
»Das ist ja alles gut und schön, soweit es die Erinnerung an das angeht, was Ihr durch Eure Sinne aufgenommen und gleichsam in der Dachkammer gespeichert habt«, sagte Peer. »Ich könnte Euch also bitten, Eure heutigen Beobachtungen hinsichtlich der Herzogin von Qwghlm zu schildern, und mich auf Euren Bericht verlassen. Da Ihr jedoch das Gespräch, das Ihr mit ihr geführt habt, wie übrigens auch das, das Ihr gerade mit mir führt, nicht versteht, fürchte ich, dass Eure Interpretation der Vorgänge in Leicester House vollkommen unzutreffend sein könnte.« Er sprach stockend, unsicher, wie er mit jemandem reden sollte, der nicht verstand, was er sagte.
Diesen Widerspruch griff Daniel auf, indem er fragte: »Aber wie könnte er irgendetwas interpretieren, wenn er es nicht verstünde?«
Dies bremste ein paar peinliche Augenblicke lang Peers Redefluss.
»Ich möchte Euch auf das Werk von Spinoza verweisen«, sagte Dappa, »dessen Worte für mich natürlich vollkommenes Kauderwelsch sind, der jedoch in seiner Ethik schrieb: ›Die Ordnung und Verknüpfung der Ideen ist dieselbe wie die Ordnung und Verknüpfung der Dinge.‹ Das heißt, wenn es zwei Dinge, nennen wir sie A und B, gibt, die in einer bestimmten Beziehung zueinander stehen, beispielsweise Lord Wragbys Perücke und Lord Wragbys Kopf, und wenn ich im Kopf eine Idee von Lord Wragbys Perücke, nennen wir sie Alpha, und eine Vorstellung von seinem Kopf, nennen wir sie Beta, habe, dann ist die Beziehung zwischen Alpha und Beta dieselbe wie die zwischen A und B. Dank dieser Eigenschaft des Verstandes kann ich in meinem Kopf ein ganzes Universum von Ideen errichten, doch jede Idee wird mit allen anderen Ideen auf genau dieselbe Weise zusammenhängen, wie die von diesen Ideen repräsentierten Dinge miteinander zusammenhängen; es ist also so, als hätte ich zwischen meinen Ohren einen Mikrokosmos erschaffen, ohne das Geringste davon zu verstehen. Und einige der Ideen können festgehaltene Sinneseindrücke wie etwa das Wetter von gestern sein.
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