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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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ihn durch ein Teleskop betrachtete. Er rauchte eine Tonpfeife, deren Stiel bis auf Fingerknöchellänge abgebrochen war. Als Daniel näher trat, nahm er sie aus dem Mund und warf sie in den Rinnstein; dann erstarrte er mit gesenktem Kopf, als hätte ihn plötzlich das Bedürfnis zu beten überkommen.
    »Seht!«, war das Erste, was er zu Daniel sagte. »Seht, was da in Eurem Rinnstein schwimmt!«
    Daniel trat neben ihn und folgte seinem Blick nach unten. Wo der Rinnstein des Crane Court zwischen Saturns Füßen hindurchlief, hatte sich durch Absenkung der Erde unter den Steinen eine Senkgrube gebildet. In deren tiefsten Teilen zeichnete sich das Netz von Ritzen zwischen den Steinen als leuchtendes Linienmuster aus flüssigem Silber ab.
    »Quecksilber«, sagte Daniel, »wahrscheinlich aus den Laboratorien der Royal Society ausgeschieden.«
    »Zeigt darauf!«, schlug Saturn vor, der immer noch unverwandt auf das Quecksilber-Muster starrte.
    »Wie bitte?«
    »Zeigt auf die Royal Society und tut so, als machtet Ihr irgendeine Bemerkung darüber.«
    Unsicher drehte Daniel sich um und zeigte auf die Mitte von Crane Court, verzichtete jedoch auf vorgetäuschte Bemerkungen. Saturn drehte den Kopf, um in diese Richtung zu schauen; starrte ein paar Momente lang ausdruckslos hin; kehrte Daniel dann den Rücken und schlurfte in die Fleet Street davon.
    Daniel brauchte ein Weilchen, um ihn bei dem herrschenden Verkehr einzuholen. Wenige Minuten zuvor hatten die Kirchenglocken sechs Uhr abends geschlagen. Auf der Fleet Street herrschte ein ungeheures Gedränge.
    »Ich habe mir eingebildet, Ihr hättet eine Mietdroschke«, sagte Daniel, der Saturn abzubremsen hoffte, indem er ein Gespräch mit ihm anfing. »Ich hatte doch erwähnt, dass alle Ausgaben erstattet werden...«
    »Nicht nötig«, gab Saturn, die Worte über die Schulter werfend, zurück, »es ist ganze zweihundert Schritte von hier.« Er ging auf der Fleet Street in Richtung Osten und blickte sich immer wieder nach Lücken zwischen Reitern, Kutschen und Fuhrwerken um, wobei er zuweilen vor sie hintrat, um sich den Durchgang zu erzwingen. Er hatte offenbar vor, mit Daniel auf die Südseite hinüberzuwechseln.
    »Ihr hattet angedeutet, dass es ganz nahe sein könnte«, sagte Daniel, »aber ich finde es verblüffend, dass ein Haus dieses Typs so nahe bei – bei -«
    »Bei einem Haus vom Typ Royal Society liegt? Keineswegs, Doc. Die Straßen von London gleichen Bücherregalen, Ihr könnt ebenso leicht ungleiche Häuser nebeneinander finden, wie Ihr einen Groschenroman neben einer Bibel stehen sehen könnt.«
    »Warum sollte ich gerade eben auf die Royal Society deuten?«
    »Damit ich sie ansehen kann.«
    »Ich wusste gar nicht, dass man eine Erlaubnis braucht, um sie anzusehen.«
    »Das liegt daran, dass Ihr an das Verhalten von Naturphilosophen gewöhnt seid, die ständig alles nach Belieben anschauen. Darin liegt eine gewisse Arroganz, deren Ihr Euch gar nicht bewusst seid. In anderen Schichten und Berufen braucht man durchaus eine Erlaubnis. Und es trifft sich gut, dass wir diese Unterredung auf dem Weg zur Hanging Sword Alley führen. Denn das Haus, zu dem wir gehen, gehört ganz sicher zu der Sorte, Doc, wo man eine Erlaubnis braucht.«
    »Tja, dann werde ich nur Augen für Euch haben, Mr. Hoxton.«
    Sie hatten bereits die Stelle erreicht, an der rechts die Water Lane abzweigte und geradewegs zum Fluss verlief. Saturn nahm diese Abzweigung, als hätte er vor, zum White Friars Dock hinunterzuspazieren. Die Lane war ein gerader, breiter Einschnitt, der zwei unübersichtliche, labyrinthische Viertel voneinander trennte. Zur Rechten die Peripherie des Temple. Der typische Bewohner: ein Jurist. Zur Linken das Kirchspiel von St. Bride. Der typische Bewohner: eine Frau, die wegen Prostitution, Diebstahls oder Landstreicherei verhaftet und dazu verurteilt worden war, in Bridewell Hanf zu klopfen. In Momenten der Gereiztheit stellte sich Daniel vor, dass das Einzige, was die zur Rechten und die zur Linken von lüsternen Zusammenkünften in der Mitte der Lane abhielt, der unaufhörliche Strom duftender Karren war, die in ihr dahinratterten, um am Dung Wharf, der ein kurzes Stück weiter zu riechen war, ihre dampfende Ladung loszuwerden.
    Die Water Lane wurde zu beiden Seiten von Gebäuden gesäumt, die nach dem großen Brand entstanden waren und so instand gehalten wurden, dass sie dem beiläufigen Spaziergänger eine offene, unverstellte Synopse der Viertel boten, die sich

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