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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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hinter ihnen erstreckten. Jedes Mal, wenn Daniel diesen Weg zum Fluss hinab nahm, hielt er sich strikt an der rechten oder Temple-Seite und ließ im Gehen eine Hand über Ladenfronten gleiten. Wenn er sich kühn vorkam und von gut gekleideten Gerichtsbeamten und kräftigen, ehrlichen Handwerkern umgeben war, schaute er auch einmal hinüber und betrachtete missbilligend die Gebäude auf der linken Seite.
    Dort, zwischen einer bestimmten Pfandleihe und einer bestimmten Schenke, tat sich eine schmale Lücke auf, die ihn an einen fehlenden Zahn in einem maroden Kiefer erinnerte. Er hatte stets angenommen, sie sei die Folge eines Irrtums von Robert Hooke, dem verstorbenen Bau-Inspektor der Stadt, der seine Arbeit in den besseren Vierteln tadellos verrichtet hatte, in diesem Bezirk jedoch möglicherweise von den Reizen eines Bridewell-Mädchens abgelenkt worden war. Angesichts des Menschenschlages, der durch diese Lücke kam und ging, hatte Daniel – mit ganz ähnlichen Gefühlen wie ein Siebenjähriger, der sich fragt, was passieren würde, wenn er durch das Loch in einem Abtritt fiele – manchmal darüber spekuliert, wie es ihm wohl ergehen würde, wenn er je dort hineinginge.
    Beim Einbiegen in die Water Lane war Saturn (unvermeidlich) der linken Seite zugestrebt, was zur Folge hatte, dass Daniel die Orientierung verlor, da er die Straße noch nie aus dieser Perspektive gesehen hatte. Die dahinschlendernden, Schnupftabak nehmenden Advokaten auf der anderen Seite wirkten tölpelhaft.
    Nach nur wenigen Schritten bog Saturn um eine Ecke in einen schmalen, düsteren Durchgang ein, und Daniel, der nichts weiter wollte, als in seiner Nähe zu bleiben, eilte ihm nach. Erst als sie zehn Schritte darin zurückgelegt hatten, drehte er sich zu den weit, weit entfernten, hellen Fassaden auf der anderen Seite der Water Lane um, und ihm wurde klar, dass sie in ebendie Lücke hineingegangen waren, über die er sich so oft Gedanken gemacht hatte.
    Es wäre angemessen, die Art, wie er sich nun bewegte, als Hasten zu bezeichnen. Er holte Saturn ein und versuchte, es diesem nachzutun und nichts direkt anzustarren. Wenn dieses Labyrinth von Gassen so schrecklich war, wie er immer vermutet hatte, so sah er dessen Schrecken nicht; und wenn man bedachte, wie rasch sie sich bewegten, schien es kaum so, als hätte einer davon Zeit, sie einzuholen. Vor seinem geistigen Auge sah er eine in ihrem Kielwasser sich hinziehende, lange Reihe von Würgern und Straßenräubern, die keuchten und schnauften und sich vor Seitenstechen krümmten.
    »Ich vermute, es handelt sich um irgendeinen Schmu?«, sagte Peter Hoxton.
    »Soll wohl... Vorhaben... Betrug... oder Falle heißen«, japste Daniel. »Ich tappe genauso im Dunkeln wie Ihr.«
    »Weiß sonst noch wer, wohin wir gehen und wann?«, versuchte es Saturn.
    »Ich habe den Namen des Ortes und die Zeit der Zusammenkunft verlauten lassen.«
    »Dann ist es ein Schmu.« Saturn flitzte jäh zur Seite und rammte, ohne anzuklopfen, eine Tür auf. Nach einem beklemmenden, schauerlichen Moment des Alleinseins in der Mitte der Hanging Sword Alley wieselte Daniel ihm nach und hörte erst zu wieseln auf, als er neben Peter Hoxton vor dem Herd eines Hauses saß.
    Saturn schaufelte Kohle auf die Glut eines heruntergebrannten Feuers. Im Zimmer war es bereits stickig; ihre beiden Stühle waren die am wenigsten begehrten.
    »Eigentlich ist es hier gar nicht so schrecklich«, meinte Daniel.
    Saturn förderte einen Blasebalg zutage, packte ihn bei den beiden Griffen und hielt ihn zwecks technischer Inspektion hoch. Ein kräftiger Druck blies ihm lange, schwarze Locken aus dem Gesicht. Er zielte auf den Kohlehaufen und begann die Griffe rhythmisch zusammenzupressen und auseinanderzuziehen, als wäre der Blasebalg eine Flugmaschine und als versuchte er, vom Boden abzuheben.
    Bisher hatte Daniel Saturns Warnung beachtet und es gewissenhaft vermieden, irgendetwas anzusehen. Doch die stickige und nun auch verqualmte Luft dieses Salons war von Frauenstimmen durchsetzt. Unwillkürlich drehte er sich nach einem Ausbruch weiblichen Gelächters am anderen Ende des Raums um. Er gewann einen Eindruck von ziemlich vielen nicht zueinanderpassenden und ramponierten Möbelstücken, die auf keine bestimmte Weise angeordnet waren, sondern von Ebbe und Flut der Besucher im Raum hin- und hergeschoben wurden. Es mochten zwanzig Menschen anwesend sein, in etwa zur Hälfte Männer und Frauen, in Zweier-, Dreier- und Vierergrüppchen. Am anderen

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