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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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jeder in Gedanken die Gefahren abwägend. Der eine hatte ein Schwert, stand aber mit dem Rücken zu einem hundert Fuß tiefen Abgrund. Der andere klebte an einer Steinwand, trug aber einen langen Pilgerstab.
    Der dem Himmel Zustrebende wandte höflich den Blick ab – was ihm nicht gerade leichtfiel, sah er doch aus wie einer, der sonst jedem Blick standhielt – und rief nach unten: »O Vater, ich habe mit ihnen gesprochen und festgestellt, dass sie alle Engländer sind. Keine französischen Dragoner, wie wir zunächst vermutet hatten.« Dann zwinkerte er dem Schwertknaben zu, der, als er das bemerkte, »Ah« sagte, und dann: »Das hier ist... äh... kein geeigneter Ort für einen Waffengang!«, bevor er daranging, sich an dem Buckligen vorbei zu drücken. Einige Augenblicke später konnte man hören, wie die drei der Hölle Zustrebenden dem alten Pilger mit der beleidigenden Höflichkeit, die den Verrückten vorbehalten ist, einen guten Tag wünschten.
    »Zeit zu tauschen«, fand der Bucklige. Er löste sich von dem Fenster, was den wankenden alten Mann in graues Licht tauchte, warf seinen Umhang ab und brachte einen großen, langen helmförmigen Gegenstand zum Vorschein, der auf seinen Rücken geschnallt war. Ihn loszuwerden und dem anderen aufzusetzen, war ein hektisches Unterfangen, das mehrere Minuten in Anspruch nahm. Am Ende waren beide fast genauso gereizt wie der ältere Mann.
    Der hatte sie mittlerweile eingeholt und lehnte sich ans Fenster, um wieder zu Atem zu kommen. Das Licht fiel auf ein Gesicht, in dem mehr sonderbare und verderbte Geschichten geschrieben standen als in einem ganzen Lagerhaus voller Bibeln. »Ein mittelmäßiger Tag«, wiederholte er spöttisch. »Ich weiß nicht, was ihr damit meint. Nicht das Wetter bestimmt den Tag. Wir bestimmen ihn, ganz nach unserem Belieben. Heute beliebt es mir, die Währung des Königreichs zu zerstören. Das Wetter ist gut.«
    »Diese verdammte Treppe wird von Ausflüglern bevölkert, Dad, kannst du denn gar nichts für dich behalten?«, sagte der Vordere, inzwischen in einem Netz von Seilen gefangen, die das helmförmige Ding an seine Wirbelsäule schnürten.
    »Solange das da jedem ins Auge fällt, ist es absurd, sich den Anschein von Diskretion zu geben, Jimmy«, gab Dad zurück.
    Jimmys Bruder – der jetzt mit geradem Rücken da stand und den Pilgerstab in der Hand hielt – hatte begriffen und warf Jimmy den Umhang über die Schultern, womit er ihn in einen buckligen Kerl verwandelte. »Ist das wirklich die beste Art, sich Zutritt zum Tower zu verschaffen, Dad?«
    »Wie meinst du das!?«
    »Am Fuß der Mauer gibt es eine Schänke neben der anderen. Wenn man von dort einen Enterhaken hinauf zu den Zinnen schleudert -«
    »Die Gefangenen haben Dienstmädchen, die jeden Tag auf den Markt und wieder zurück gehen. Du könntest dich als eine von ihnen verkleiden«, schlug Jimmy vor.
    »Oder dich in einem Heuwagen der Münze verstecken.«
    »Oder in einem dieser verdammten großen Karren, auf denen sie den Zinn aus Cornwall herbeischaffen...«
    »Oder dich als Barbier irgendeines adligen Verräters ausgeben...«
    »Ich selbst habe mich schon mit nächtlichen Leichenzügen hineingeschlichen, nur um mich dort ein wenig umzuschauen...«
    »Du könntest die Wachen am Anleger bestechen, damit sie dich übersehen, wenn sie für die Nacht zuschließen...«
    Der alte Mann sagte: »Danny Boy, wenn du nicht den vergangenen Monat mit Vorbereitungen am Shive Tor verbracht und du, Jimmy, dich nicht mit den Münzpressen abgemüht hättest, wüsstet ihr, dass die Hälfte von uns genau das getan hat. Unserem Zweck wäre es aber wohl kaum dienlich, wenn ich selbst auch auf so heimliche Weise hineingelänge. Und nun steht nicht da und haltet Maulaffen feil, bewegt euch, wir müssen es erledigen, bevor das ganze Unternehmen fehlschlägt! Und wenn ihr vor mir hochsteigt und irgendwelche wohlanständigen Londoner Bürger trefft, die gute Zeugen abgeben würden, dann seid nicht dumm und nehmt sie als Geiseln! Ihr wisst doch, wie das geht!«
    Wenige Minuten später stürmten sie hinaus ins Licht und fanden sich auf einer steinernen Aussichtsplattform mit vier Juden, zwei Filipinos und einem Neger wieder.
    »Kommt mir vor wie die Szenerie für einen dieser langweiligen Witze, die Schwachsinnige in Tavernen zum Besten geben«, murmelte der alte Pilger, aber niemand hörte ihn.
    Jimmy und Danny waren von der Aussicht überwältigt: in der einen Richtung die neue Kuppel von St.

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