Principia
Tower umworben, seine Wächter bestochen und erpresst. Inzwischen ist er mir so vertraut wie einem alten Pfarrer seine Pfarrkirche. Durch stinkende Gassen hindurch habe ich die unsichtbare Grenze der Liberty of the Tower, des Freibezirks, nachgezeichnet. Ich weiß, welche Gefangenen streng bewacht werden und welche sich innerhalb dieser Grenzen frei bewegen dürfen. Ich weiß, welchen Lohn der Kommandant des Tower für die Betreuung eines wohlhabenden und für die eines mittellosen Bürgers erhält. Bei den Geschützen, die über den Fluss hinausgehen, weiß ich, welche in gutem Zustand sind und welche wegen Baumfäule an ihren Lafetten nicht abgefeuert werden können. Ich kenne die Zahl der Hunde, weiß, welche von ihnen Haushunde und welche Straßenköter und wie viele von Letzteren toll sind. Ich weiß, welcher Gefangene mit welchem Wärter in welchem Haus wohnt. Ich weiß, wie viel Geld man einem Wärter normalerweise zustecken muss, um Zutritt zum Innenhof zu erhalten. Wenn der Gentleman Porter zur Kur aufs Land fährt und seiner angestammten Pflicht nicht nachkommen kann, abends um halb zehn die Tore des Tower zu verriegeln, wer übernimmt dann diese Pflicht für ihn? Ich weiß es. Wusstet ihr, dass der Haushofmeister des Gerichtshofs der Liberty of the Tower zugleich auch sein Leichenbeschauer ist? Oder dass der Apotheker für seine Dienste der Bevollmächtigung durch den Kommandanten bedarf, während man ohne weitere Formalitäten und Eide Barbier des Tower werden kann? Ich wusste es, und tatsächlich ist der Barbier einer von uns. All das und noch viel mehr habe ich über den Tower in Erfahrung gebracht. Und am Ende meiner Studien bin ich zu dem Schluss gekommen, dass dieser Ort nichts anderes ist als eine weitere sonderbare englische Stadt mit einem baufälligen hölzernen Gefängnis und einer Pfarrkirche und dass das einzig Bemerkenswerte an ihr die Tatsache ist, dass dort Geld gemacht wird und ihre maßgeblichen Bürger alle Lords sind, die wegen Hochverrats verhaftet wurden. Ich setze euch jetzt davon in Kenntnis, damit ihr nachher nicht enttäuscht seid, wenn sich unzweifelhaft zeigt, dass es stimmt; und außerdem, damit ihr aufhört, den Tower anzustarren, und stattdessen die Rotröcke in der Wharf Guard zählt und diese verdammte Rakete zusammenbaut!«
Jimmy und Danny waren ungefähr an der Stelle des Monologs langsam aus ihrer Benommenheit erwacht, an der ihr Vater auf tollwütige Hunde zu sprechen gekommen war – selbst Leute, die Gefahren gewohnt waren, wurden bei diesem Thema hellhörig. Und das Wort Rakete versetzte ihnen einen Ruck wie die Schlinge am Ende eines Seils. Jimmy warf seinen Umhang ab und ließ ihn auf der steinernen Aussichtsplattform zu Boden sinken. Eine Weile sah es so aus, als beginge Danny Brudermord, als er sich mit einem Dolch unter Jimmys Armen zu schaffen machte, aber er zerschnitt nur das Netz aus Seilen, das die helmförmige Last auf dessen Rücken festgehalten hatte.
»Herrje, ich sollte lieber die Augen aufmachen, statt Reden zu schwingen«, bemerkte ihr Vater, der jetzt durch sein Fernrohr die Hausdächer unter ihnen inspizierte. »Während meines Geplauders haben sie schon die Schnüre gespannt.«
Ein hauchdünner Faden verband nun die Kirchtürme von St. Mary-at-Hill und St. Dunstan-in-the-East und lief von dort in nahezu gerader Linie zum Dach des Trinity House. Zufällig richtete er das Fernrohr gerade in dem Moment auf den überfließenden Rinnstein in der Tower Street, als ein Armbrustbolzen darüber hinwegflog. Dieser durchbohrte den kupfernen Dachbelag der All Hallows Church. Nicht lange, und ein dunkelhaariger Mann kroch barfuß darauf zu und fing an, Hand vor Hand eine merkwürdige Pantomime zu vollführen. Er zog Elle um Elle eines Seidenfadens heran, der so fein war, dass man ihn durch das Fernrohr nicht erkennen konnte. Der Faden kam aus einem glatt geschliffenen Kupferfass auf dem Dach des Trinity House und wurde dicker, während der Mann zog, sodass er am Ende vielleicht sogar sichtbar wurde, wenn man die Geduld aufbrachte, so lange dazustehen und zu schauen.
Jimmys und Dannys Vater lenkte sein Fernrohr nur wenige Bogensekunden nach unten in den angrenzenden Friedhof, wo das Begräbnis eine makabre Wendung genommen hatte: Der Sargdeckel war beiseite geworfen worden, um einen helmförmigen Gegenstand, aus dem ein langer Stock herausragte, zutage zu fördern. Am Fußende des Sarges war ein weiteres Fass mit aufgerolltem Faden verstaut.
Von dort bis
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