Principia
sah nicht zu ihm hin; sein Blick war eher auf Cold Harbour gerichtet – nein, auf den Bloody Tower, von seinem Standort aus das Hauptportal zur Water Lane. MacIan konnte nicht sehen, worauf der Sergeant schaute, erkannte jedoch am Schweigen und an der Haltung des Mannes, dass dieser Befehle entgegennahm. Es musste sich um den Befehlshaber der betreffenden Kompanie handeln. Das würde passen. Bestimmt war der Leutnant, nachdem er die Geschütze auf dem Fluss und den Alarm vom Anleger her gehört hatte, losgelaufen, um nachzusehen. Als sich ihm der unwahrscheinliche, der undenkbare, aber nicht zu leugnende Anblick eines Detachements französischer Marinesoldaten geboten hatte, die auf den Anleger zuhielten und dabei aus Drehgeschützen feuerten, war er über die Water Lane zurückgerannt, hatte sich auf dem schnellsten Weg, nämlich durch den robusten Bogen in der Basis des Bloody Tower, in Sichtweite der Parade gebracht und allen verfügbaren Einheiten befohlen, ihm zu folgen.
Der Unteroffizier auf dem Grün reagierte auf die einzige ihm geläufige Art: methodisch. Mit einer Bedächtigkeit, die für Rufus MacIan ebenso qualvoll war, wie sie es für den wild dreinblickenden Leutnant auf der Schwelle des Bloody Tower sein musste, zog und hob er sein Schwert und bellte einen Katechismus von Marschbefehlen, der dafür sorgte, dass die eine Kompanie und die drei Trupps Haltung annahmen, die Musketen schulterten, in Richtung Süden kehrtmachten und schließlich – indem er das Schwert herabsausen ließ – vorwärtsmarschierten. Und sobald die Sache einen gewissen Schwung gewonnen hatte, ging er sogar so weit, ihnen zu sagen, dass sie in Laufschritt übergehen sollten.
MacIan kehrte in die Schlafkammer auf der Südseite zurück und stellte fest, dass Angusina sich bereits der Aufgabe gewidmet hatte, die Enterhaken einzuholen und Seil-Enden am Rahmen des massiven Betts zu befestigen. Ihr eindrucksvolles Becken wurde von einem Fenster gerahmt wie ein Ei in einer Schnupftabakdose, während sie Hand über Hand irgendeine Last an einem Seil emporzog. Rufus MacIan streckte den Kopf zu einem anderen Fenster hinaus und blickte gerade rechtzeitig nach links die Water Lane entlang, um den Anfang einer Kolonne von Rotröcken aus dem Erdgeschoss des Bloody Tower hervorkommen zu sehen. Ein kurzer Lauf nach links brachte sie auf die andere Straßenseite und in das Erdgeschoss des St. Thomas’s Tower, den sie als Brücke auf den Anleger benutzen konnten.
MacIan wurde von einem scheppernden Geräusch ganz in der Nähe abgelenkt und sah im Hinunterschauen ein Claymore, das gegen die Steinmauer schlug, während Angusina es an einem Seil heraufzog. Die Klinge war fast nackt, umkleidet nur von einer Art Riemengeflecht, mit dem man es sich auf den Rücken hängen konnte. Für Claymores gab es keine Scheiden; solche Waffen waren dazu da, benutzt, nicht getragen zu werden. Speziell diese Klinge hatte schon Schlimmeres mitgemacht, und ihre funkensprühenden Kollisionen mit der Mauer machten MacIan keine Sorgen.
Die Leute unten zählten ein rundes Dutzend. Dem Aussehen nach zu urteilen handelte es sich um gewöhnliches Londoner Schenken-Gesindel. Oder, um genau zu sein, gewöhnliches Londoner Nachkriegs- Schenken-Gesindel. Denn der Pöbel war in den letzten zwölf Monaten, als die Armee Ihrer Majestät aufgelöst worden war, plötzlich erheblich jünger und raubeiniger geworden. Einige der Veteranen waren Piraten oder Glücksritter geworden. Doch die wenigen Glücklichen hier waren zu gewöhnlichen, unauffälligen Merkmalen einer Reihe von Saufkneipen geworden, die am Sockel des Bell Tower und dem angrenzenden Mauerabschnitt klebten – direkt unterhalb der Fenster, aus denen Angusina und Rufus im Augenblick hinausschauten.
»Ein Geschenk für Euch, Onkel, und schön anzusehen!«, rief Angusina und hievte das Claymore ins Zimmer. Danach kamen reihenweise kurze Eisenstangen hereingescheppert. Denn das große Schwert war am oberen Ende einer Strickleiter befestigt, die aus geschmiedeten Sprossen zwischen zwei geknoteten Seilen bestand. Angusina hielt Rufus MacIan die Waffe hin, sodass er mit einem Schnitt seines blutigen Dolches den Bindfaden durchtrennen konnte, mit dem sie an der obersten Sprosse festgebunden war. Dies getan, warf er das Claymore aufs Bett – in dieser Kammer mit der niedrigen Decke war nicht einmal Platz für einen Übungshieb – und half dem Mädchen, das obere Ende der Leiter an einem Tudor-Kleiderschrank von der
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