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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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einen Akt internationaler Spionage, verübt von einem schottischen jakobitischen Tory gegen einen wichtigen Angehörigen von Ihrer Majestät Regierung, gehandelt habe. Und so hatte man MacIan in den Tower anstatt in das Gefängnis von Newgate eingeliefert. Seither hatte er keinen Fuß auf die andere Seite der Innenmauer gesetzt. Nun allerdings inszenierte er so etwas wie einen Fluchtversuch, indem er Kopf und Schultern aus dem Fenster streckte.
    Es war eine andere Welt dort draußen. Zuerst hatte er nur Augen für das Treiben auf dem Fluss: angesichts der Anzahl und der Verschiedenartigkeit der über den Pool verstreuten Schiffe eine für einen Einäugigen nicht ganz leicht zu lesende Seite. Als Junge waren ihm Schiffe wie Wunder erschienen. Als Veteran sah er sie anders, jedes Schiff als Gestalt gewordenes Motiv, als verkörperte Tat.
    Bald machte sein Auge die dreieckigen Segel einer Schaluppe, ein blaues, französisches Marinebanner und darunter, an Deck, eine Ansammlung von Soldaten in blauen Röcken aus. Falls dies als Botschaft noch nicht deutlich genug war, schoss die Schaluppe nun eine uneinheitliche Salve aus ihrer Kollektion von Drehgeschützen. Das erfüllte, wie MacIan wusste, einen doppelten Zweck: Es teilte der Wache auf dem Anleger mit, dass die Invasoren kein Trugbild waren. Und es war zugleich das Stichwort für die anderen Akteure des Stückes, die auf diese Weise erfuhren, dass MacIan sein Ziel getroffen hatte und an einem bestimmten Fenster erschien.
    Innerhalb des Grabens und auf dem Anleger müssten sich in diesem Augenblick zweiundsiebzig Gemeine, vier Korporäle, vier Sergeanten, zwei Trommeln und ein einziger Leutnant befinden, denn das war die Sollstärke einer Kompanie und die Mindestbesatzung, die man für erforderlich hielt, um den Tower zu bewachen.
    Ein Viertel dieser Zahl – ein Peloton – war normalerweise entlang dem Anleger konzentriert, der die bei weitem verwundbarste Seite des Komplexes bildete, insofern sich ihm jeder auf der Welt in einem Boot nähern konnte. Die anderen drei Pelotons waren in einer Fülle von Postenständen und Wachhäusern über den Komplex verteilt: natürlich an den Toren, Zugängen und Zugbrücken, aber auch vor den Haustüren der Yeoman Warders, vor dem Jewell Tower und an diversen anderen Kontrollpunkten.
    Außerdem gab es ungefähr vierzig Yeoman Warders. Sie waren, in einem allerdings ziemlich formalen Sinne, Soldaten – die Yeomen of the Guard Unserer Gebieterin der Königin, »die Speere der Königin«, die Überreste einer Art Prätorianergarde, die Heinrich VII. nach der Schlacht bei Bosworth Field aufgestellt hatte. Doch um sie machte sich MacIan weniger Sorgen, denn sie waren auf ihre Cottages verteilt, wo sie sich um Gefangene kümmerten, sie waren schlecht bewaffnet, und sie wurden im Grunde nicht wie eine militärische Einheit geführt.
    Normalerweise waren auch Charles White und ein paar Queen’s Messengers – wirklich ziemlich gefährliche Burschen – anwesend. Doch die unternahmen heute eine Flussfahrt.
    Zumindest theoretisch gab es noch eine Miliz der Tower-Dörfchen. Doch sie zu mobilisieren würde Tage dauern, und ihre Musketen funktionstüchtig zu machen noch länger. Die meisten ihrer Angehörigen wohnten ohnehin auf der falschen Seite des Grabens.
    Es gab einen Oberkanonier, dem vier Kanoniere unterstellt waren. Um diese Tageszeit konnte man sich darauf verlassen, dass der Oberkanonier sturzbetrunken war. Von den Kanonieren waren nur zwei im Dienst. Das hieß, sie saßen in einem Verlies und erstellten eine Bestandsliste der vorhandenen Kanonenkugeln – und bemannten nicht die Zinnen, bereit, die Lunte an ein geladenes Geschütz zu legen. Die Kanonen und Mörser auf dem Anleger und entlang den Brustwehren der Mauern tatsächlich zu laden und abzufeuern erforderte einige Leute mehr und war daher eine Aufgabe für die Wache. Wenn zum Geburtstag der Königin oder zur Ankunft eines Botschafters die Kanonen abgefeuert wurden, war ein Großteil des Regiments vollauf mit ihrer Bedienung beschäftigt.
    Die Aufgabe, die sich stellte, bestand also darin, sich der vierundfünfzig Guards anzunehmen, die derzeit nicht auf dem Anleger waren, und sie außer Gefecht zu setzen.
    Was Rufus MacIan hören wollte, hörte er nun: Der Trommler auf dem Anleger schlug einen Wirbel, der Alarm, Alarm! bedeutete. Er konnte ihn durch das Fenster deutlich hören, hätte sogar einen Stein über die niedrige Außenmauer werfen und den Trommler damit am Kopf

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