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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Größe eines Munitionsschapps zu befestigen. Dann hieß es wieder zurück an die Fenster, denn nun kam der vielleicht riskanteste Teil des ganzen Plans.
    Diese Fenster waren völlig ungedeckt gegen Blicke und noch gefährlichere Aufmerksamkeiten vom Anleger. Was sie bis jetzt getan hatten – Seil und Leiter -, war zwar sichtbar, alles in allem aber nicht auffällig. Die von der Erscheinung auf der Themse abgelenkten Soldaten auf dem Anleger konnten es sehen, wenn sie sich umdrehten und hinschauten – was sie wahrscheinlich jedoch nicht tun würden. Was dagegen als Nächstes geschehen würde, konnte niemandem entgehen.
    Er zog ein Bündel Musketen am Ende eines Seils hoch, schnitt sie los und begann eine davon mit Pulver und Kugeln zu laden, die Angusina zuvor schon heraufgezogen hatte. Ein bisschen Deckungsfeuer konnte nichts schaden. Was hier aber eigentlich gebraucht wurde, war Kavallerie.
    »Sie sind so tapfer«, gurrte Angusina. »Die Blauröcke draußen auf dem Fluss. Und wo sind so unerschrockene Marinesoldaten rekrutiert worden, Onkel?«
    »In einem bankrotten Theater«, antwortete er. »Die französischen Marinesoldaten sind weder Franzosen noch Marinesoldaten noch tapfer noch unerschrocken noch überhaupt Soldaten. Es sind Schauspieler, Mädchen, und man hat ihnen gesagt, dass sie in einer kleinen masque zur Unterhaltung des holländischen Botschafters mitspielen.«
    »Niemals!«
    »Doch.«
    »Herr des Himmels! Dann steht ihnen eine unangenehme Überraschung bevor!«, rief Angusina aus.
    »Feuer!«, ertönte vom Anleger her ein ferner Schrei. Der Schrei wurde sogleich von einer Salve mächtiger, zischender Schläge übertönt, als vierzig Soldaten ihre Musketen abfeuerten. Dann Stille bis auf ein entsetztes Aufheulen vonseiten der Schauspielertruppe an Bord der Schaluppe.
    »Und das war’s dann für sie«, sagte Rufus MacIan. »Jetzt werden sie fliehen. Verwünscht! Wo bleibt meine verdammte Kavallerie?« Inzwischen hatte er die Muskete geladen und näherte sich dem Fenster, bestimmt von dem dringenden Bedürfnis, nach rechts, zum Byward Tower und dem Fußweg über den Graben zu schauen. Aber die Klugheit gebot es, zuerst den Anleger abzusuchen. Die Soldaten bildeten, mit dem Rücken zu ihm, noch immer eine Reihe, der Unteroffizier im Profil sah ihnen beim Nachladen zu. Doch der Trommler, verflucht, der Trommler blickte genau auf ihn! Rufus MacIan packte den Schaft der Muskete fester. Doch den Trommler in den Fluss zu blasen wäre auf diese Entfernung zwar einfach gewesen, war aber keine gute Methode, sich unauffällig zu verhalten.
    Wenigstens richtete niemand eine Schusswaffe auf ihn. Er wandte den Kopf nach rechts. Nur ein, zwei Ellen unter dem Fenster nebenan war einer der Schenkengäste aus der Water Lane dabei, mit einer Donnerbüchse auf dem Rücken die Leiter hinaufzusteigen. Mehrere Sprossen tiefer folgte ihm ein zweiter. Genau hinter ihnen ragte die senkrechte Wand des Bell Tower auf, der ihm die Sicht nach Westen leider größtenteils verdeckte. Bell Tower war eine Bastion, was hieß, dass sich der Turm aus der Mauer vorwölbte. Dies diente einem ganz praktischen militärischen Zweck: Verteidiger konnten aus geschützter Position durch die Schießscharten auf Angreifer schießen, welche die Mauern zu erklettern suchten. MacIan gewahrte Bewegung hinter einem kleinen, in die ihm nähere Wand des Bell Tower eingelassenen Fenster. Es war keine zwanzig Fuß von ihm entfernt. Allerdings lange zwanzig Fuß, insofern Bell Tower ein vollkommen separates Gebäude und, soviel Rufus MacIan wusste, von hier aus nicht durch irgendwelche inneren Durchgänge erreichbar war. Das fragliche Fenster ließ einen Streifen Licht in eine Gefängniszelle – eine, die wichtigen Leuten vorbehalten war. Er entsann sich nicht, wer dort gerade einsaß. Doch wo es einen wichtigen Gefangenen gab, musste es auch einen Yeoman Warder geben. Und wie konnte ein Yeoman nicht aus dem Fenster schauen, wenn er vom Tower Wharf her Gefechtslärm hörte? Die Hand des Yeoman bewegte sich rasch auf und ab, und eigentlich war es das, was dem alten Soldaten Rufus MacIan ins Auge stach. Andere, mit anderen Professionen und Umständen versöhnte Augen, hätten es als Buttern, Masturbieren oder Würfelbecherschütteln gedeutet. Für ihn aber konnte es nur eines sein: die Benutzung eines Ladestocks, um eine Kugel in den Lauf einer Waffe zu stoßen.
    Die Muskete ließ sich nicht rasch genug durch das kleine Fenster schieben. »Du da«, sagte er

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