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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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zu dem unteren Kletterer, »wirf mir deine Pistole zu und halt dich fest.«
    Es war ein außergewöhnliches Ansinnen. Aber MacIan hatte gelernt, solche Ansinnen auf eine Weise und mit einem Gesicht zu äußern, die gewährleisteten, dass sie gehört und befolgt wurden. Gleich darauf flog die Pistole mit dem Kolben voran auf ihn zu. MacIan fing sie in dem Moment auf, in dem der Yeoman das Fenster aufklappte, spannte sie, als der Yeoman seine Pistole nach draußen richtete, und betätigte den Abzug nur einen Augenblick, bevor der Yeoman dies tat. Ihm war keine Zeit zum Zielen geblieben, und so riss die Kugel einen Splitter aus dem Fensterrahmen und sauste mit einem unheimlichen Summen wie von einer betrunkenen Wespe davon. Das hatte jedoch den wünschenswerten Effekt, den Yeoman zu einem Fehlschuss zu veranlassen. Seine Kugel streifte die Mauer kurz vor der Leiter. Der Mann, der die Pistole geworfen hatte, machte sich die Nachladepause zunutze, indem er das letzte halbe Dutzend Sprossen emporkraxelte und sich durch das Fenster warf; und sobald er aus dem Weg war, schoss von der Water Lane her ein weißer Strich nach oben und verschwand im Fenster des Heckenschützen. »Gottverdammt!«, brüllte der Yeoman.
    Ein Blick nach unten zeigte Rufus MacIan einen Bogenschützen, der vor der Schenke auf der Straße stand und in aller Ruhe einen zweiten Pfeil auf die Sehne legte. Dieser Mann blickte zu MacIan auf, als erwartete er ein Lob; doch was er bekam, war: »Kannst du den Scheißfußweg entlangsehen? Wenn meine verdammte Kavallerie nicht bald kommt -«, abgeschnitten von einem Krachen und einem Schlag, als eine Musketenkugel vom Anleger in die Wand neben MacIans Kopf einschlug. MacIan ließ sich auf den Boden der Schlafkammer fallen und vergrub einige Augenblicke lang das Gesicht im Ärmel, da es sich so anfühlte, als wäre es auf einer Seite von zahlreichen Steinsplittern aufgerissen worden.
    Aber er bekam eine Antwort auf seine Frage. Denn in der plötzlichen Stille hörte er viele Hufeisen und ein paar eiserne Radreifen die Pflastersteine der Einfahrt attackieren. Es konnte sich um irgendeine Gruppe von Reitern handeln, denen ein Wagen folgte. Doch der Dudelsackbläser am Ende der Straße, der die letzten Minuten stumm geblieben war, ließ nun angestauten Atem in seine Basspfeife strömen und begann ein Kriegslied der MacDonalds zu spielen: eine Melodie, die Rufus MacIan seit dem Vorabend des Massakers von Glen Coe, als die Soldaten dazu getanzt hatten, nicht mehr gehört hatte. Er nahm die Melodie nicht durch die Ohren, sondern über den ganzen Körper auf und bekam überall Gänsehaut: Es war, als wäre sein Blut Öl und als wäre es in Brand gesteckt worden, als loderten gezackte Flammen von seinem Herzen in seine Extremitäten und drängten durch die unheimlichen Labyrinthe und dunklen Nischen seines Gehirns. Daran erkannte er, dass es nicht irgendwelche Reiter, sondern seine Verwandten, seine Blutsfreunde waren, die sich endlich aufmachten, den Rachedurst zu stillen, der seit zweiundzwanzig Jahren in ihnen brannte.
    Mittlerweile erwiderten Angusina und die wenigen Männer, die die Leiter erstiegen hatten, das Feuer. Als seine Ohren wieder frei waren, hörte er beschlagene Hufe auf Holz dröhnen – MacIans Kavallerie, vom Klang des Dudelsacks herbeigerufen, hatte die hölzerne Zugbrücke erreicht, welche die letzten Ellen des Grabens vor dem Tor des Byward Tower überspannte. Sie ritten im Galopp – was bedeutete, dass sie keinen Grund sahen, ihre Tiere zu zügeln – was bedeutete, dass das Schenken-Kontingent seine vordringlichste Aufgabe erfüllt hatte: dafür zu sorgen, dass das Fallgatter nicht heruntergelassen wurde.
    Es ertönte ein Geknatter hämmernder Geräusche, und im Zimmer wurde es sehr staubig. Vom Anleger aus war eine Salve in die Fenster gefeuert worden. MacIan machte sich die Nachladepause zunutze und hob den Kopf über die Fensterbank. Zwei weitere Männer kamen so rasch sie konnten die Leiter heraufgeklettert. Auf dem Anleger stand, nun mit dem Rücken zum Fluss, ein Peloton Rotröcke, die nachluden; einer war getroffen worden und lag zusammengekrümmt auf der Seite. Die anderen Soldaten, die auf dem Anleger gestanden hatten, waren nicht mehr zu sehen. Da die bedrohliche Schaluppe ihren Angriff abgebrochen hatte, bestand für sie auch kein Grund mehr, dort zu bleiben. Der Leutnant musste dies bemerkt und ihnen befohlen haben, durch den St. Thomas’s Tower zurückzumarschieren. Sie würden

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