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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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treffen können. Doch es nützte ihm gar nichts, dass er es hörte. Die Frage war, ob die über die Münze und den Inner Ward verteilten Guards es angesichts der Alarmsignale wegen des Feuers in den Weilern nördlich des Grabens hören konnten.
    Es gab keine bessere Warte, von der aus sich solche Fragen beantworten ließen, als das Gebäude, in dem er sich gerade befand. MacIan kehrte dem Fenster den Rücken und schritt nordwärts, verließ das Zimmer und durchquerte einen Flur. Dadurch bekam er einen Moment lang die Treppe zu sehen. Angusina, die üppige Rothaarige, kam gerade herauf, in der einen Hand eine Faustvoll Rock, in der anderen eine geladene Pistole. Ihr Gesicht war unter den Sommersprossen gerötet, als hätte jemand mit ihr geschäkert. »Die Wächter sind beim Donnern der Kanonen geflitzt«, verkündete sie, »und davongeflattert wie ein Schwarm Moorhühner.«
    »Die Kanonen, ja, aber können sie auch das Trommelschlagen hören?«, fragte sich MacIan und schob sich in ein kleines Zimmer unter dem Giebel. Ein langer Schritt brachte ihn an ein durch Stabwerk unterteiltes Fenster, das einen Blick auf die Parade gewährte. Was er sah, war zu seiner Zufriedenheit: »Ich sehe Rot«, verkündete er. »Das ist schon mal ein Anfang.«
    MacIan hatte durch das Fenster seines Gefängnisses dem endlosen Exerzieren der wachhabenden Kompanie zugesehen und wusste daher, dass sie, wenn Alarm gegeben wurde, vor ihrer Kaserne antreten und so rasch wie möglich zur Parade marschieren sollte. Das war mehr oder weniger auch das, was er jetzt, wenn auch von einem anderen Fenster aus, zu sehen bekam. Ein Peloton, dem ein paar Mann fehlten, war da, und von anderen Pelotons hatten sich genügend Gemeine eingefunden, um ein paar zusätzliche Trupps zu bilden.
    Dass Rufus MacIan soeben den Stellvertretenden Kommandanten des Towers in dessen eigenem Speisezimmer erstochen hatte, zeitigte keinerlei Auswirkungen und hätte auch dann keinen Unterschied gemacht, wenn diese Männer davon gewusst hätten. Sie führten stehende Befehle aus, und genau das war in diesem Stadium des Plans auch erwünscht. Falls der Stellvertretende Kommandant (Throwley) am Leben oder der Oberst des Regiments (Barnes) oder auch nur sein Erster Unteroffizier (Shaftoe) anwesend gewesen wäre, so hätte jeder von ihnen diese stehenden Befehle aufheben und das ganze Unternehmen zum Scheitern bringen können. Außer ihnen standen nur noch drei Menschen in der Befehlskette: der Kommandant des Towers (der Vorgesetzte des verstorbenen Ewell Throwley) sowie der Deputy Lieutenant und der Major (Throwleys Untergebene). Der Kommandant machte derzeit eine Trinkkur auf dem Lande, mit der er seinen Organismus von drei Dutzend verdorbener Austern befreien wollte, die er am Nachmittag zuvor verputzt hatte. Die anderen beiden waren unter irgendeinem Vorwand für den Nachmittag weggelockt worden. Und so führte die Wache des Tower wie ein geköpftes Huhn, das im Wirtschaftshof umherflattert, blindlings die Befehle eines Kopfes aus, der schon den Hunden vorgeworfen worden war.
    Der ranghöchste Unteroffizier stand mitten auf der Parade und brüllte jedem einzelnen Rotrücken, der herbeigelaufen kam, eine liebevolle Beschimpfung entgegen. Auf dem Grün sammelten sich Trupps wie Fischschwärme. Dabei musste Rufus MacIan an den Krieg denken: an das glorreiche Gemetzel von Blenheim, an den Durchbruch durch die französischen Linien in Brabant, an die Überquerung des Sumpfes auf dem rechten Flügel der Front bei Ramillies, an die Vernichtung der französischen Kavallerie vor Oudenaarde. Tausend Geschichten von Tapferkeit, die zum bloßen Stoff zwischen tauben Veteranenohren verkommen waren. Etwas in ihm wollte über diese grüne Parade schreiten, diese Truppen sammeln – denn es waren ausgezeichnete Truppen – und sie zum Anleger führen. Aber sein Status als verurteilter Verräter und geschworener Feind wäre ihm dabei hinderlich. Sich auf die vorliegende Aufgabe zu konzentrieren war einfach genug – er musste sich nur umdrehen, das rothaarige Mädchen ansehen und sich an den Tag erinnern, an dem er sie von der kalten blauen Brust ihrer toten Mutter aufgehoben, in blutiges Bettzeug gehüllt und mit der Schreienden in die Felsen oberhalb von Glen Coe aufgestiegen war.
    Der ranghöchste Unteroffizier hatte sein purpurrotes Gesicht südwärts gedreht. Einen Moment lang befürchtete MacIan, man könnte ihn am Fenster des Stellvertretenden Kommandanten sehen. Aber der Unteroffizier

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