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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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um ihr Mr. Jones’ Wünsche mitzuteilen.
    »Wir sind zu früh«, sagte Dappa zu Jones, nachdem er mit dem Kaffee zum Tisch zurückgekommen war, »und Mr. Sawyer kommt stets zu spät, also mach es dir bequem, was ich leider nicht kann. Danach gibt es keinen Müßiggang mehr, bis wir Massachusetts erreicht haben.« Und Dappa nahm die Haltung eines Dieners ein, der hinter Jones stand, bereit, nach vorn zu stürzen und sich allfälliger Bedürfnisse anzunehmen.
    Die übrigen Gäste waren entweder in ein Gespräch vertieft oder lasen etwas, falls sie allein waren. Worths Kaffeehaus war das Stammlokal einer Unterart von Kleinfinanciers, die Überbrückungsdarlehen und andere, weniger leicht zu erklärende Finanzierungsinstrumente für das Schifffahrtsgewerbe zur Verfügung stellten. Von den im Raum verstreuten Einzelnen waren manche Seebären, die Gezeitentabellen oder Almanache konsultierten. Andere sahen aus wie Geldmakler oder Geld-Goldschmiede. Ihre Lektüre tendierte stark zu Londoner Zeitungen. Jones war hier insofern ein Außenseiter, als er überhaupt nicht lesen konnte. Doch an der Ecke Gracechurch und Lombard hatte er von einem widerwärtigen Kerl mit tonnenförmigem Gesicht, der aussah und roch, als hätte er es sich mit ranzigem Talg gewaschen, und Dappa im Vorbeigehen mit einem bösen Blick bedachte, eine Flugschrift entgegengenommen. Jones hatte sie zusammengerollt und bei seinem Eintritt in einer Hand gehalten, sodass er für alle Welt wie ein Geschäftsmann aussah, der einen Wechsel mit sich herumtrug, den er einzulösen gedachte. Doch nun, in dem Bemühen, sich dieser belesenen Gästeschar anzupassen, entrollte Jones den Zettel, strich ihn auf dem Tisch glatt, beugte sich darüber und äffte so die Posen der Leser um ihn herum nach.
    Er hielt ihn verkehrt herum! Dappa senkte den Kopf und trat vor, um Jones diskret das Knie in den Hintern stoßen zu können. Doch Jones war schneller, als Dappa ihm zugetraut hätte. Obwohl er sich mit Buchstaben nicht auskannte, war er von selbst dahintergekommen, dass man das Dokument umdrehen musste. Denn das Flugblatt war illustriert: oben auf der Seite befand sich ein faustgroßer Fleck Tinte, der grausame Holzschnitt eines wilden, schwarzhäutigen Mannes mit vom Kopf abstehenden, zusammengedrehten Haarsträhnen. Seinen Hals umschloss eine weiße Binde aus Spitze, seine Schultern zierte gute englische Schneiderarbeit. Unter diesem Porträt stand in groben, einen Zoll hohen Druckbuchstaben das Wort gefolgt von
    DAPPA
    EIN SKLAVE, Eigentum von
MR. CHARLES WHITE, Hochwohlgeb.,
ist abgängig und vermutlich gestohlen oder entlaufen.
EINE BELOHNUNG in Höhe von ZEHN GUINEEN
erhält der Erste, der diesen Neger zum Hause von Mr. White
am St. James’s Square bringt.
    Und dann kleiner Gedrucktes, für dessen Lektüre Dappa eine Brille bräuchte. Aber er konnte seine Brille nicht aus der Brusttasche ziehen, weil sich kein Muskel seines Körpers rühren wollte.

Schaluppe Atalanta, vor dem Shive
    SONNENUNTERGANG
    Er wünschte, Hooke wäre da. Ein Naturphilosoph konnte nur gefesselt sein von dem, was ein so seltenes Niedrigwasser alles bloßlegte. Die Sonne stand tief im Westen und leuchtete hinter der Rauchglocke Londons in der Farbe eines Hufeisens, wenn der Schmied es auf dem Amboss aushämmert. Dieses Licht legte sich über das Watt um sie herum und ließ es alles andere als flach erscheinen. Die Oberfläche des Schlamms war gekräuselt, als wäre er ein Teich, der von einem kühlen Wind bewegt worden und dann erstarrt war. Noch bemerkenswerter aber fand Daniel die Form von Foulness Sand, ein paar Meilen weiter nördlich quer vor der Themsemündung. Dieses Land aus Schlamm, größer als manche deutschen Fürstentümer, lag die meiste Zeit unter der Wasseroberfläche verborgen. Es fehlte ihm völlig an Merkmalen wie Felsen oder Vegetation. Doch wenn die Ebbe einsetzte, floss die große Menge Wasser, die in den Rillen des ganzen erstarrten Gekräusels stand, nicht als strömende Fläche oder durch stilles Versickern in der Erde ab, sondern indem es tiefgelegene Stellen fand. So ergoss sich etwa eine handgroße Pfütze in ihre Nachbarin, und die beiden taten sich zusammen und strebten einer nahegelegenen Stelle zu, die noch eine Haaresbreite tiefer lag, während auf Meilen im Umkreis jede Lache die gleiche Strategie verfolgte. Das Ergebnis, über die Gesamtheit von Foulness Sand integriert (um Leibnizens Terminologie zu verwenden) war, dass ganze Systeme von Flüssen und

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