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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Nebenflüssen entstanden. Einige davon wirkten so alt wie die Themse und so groß, dass man daran Städte bauen könnte; doch sie verschwanden binnen weniger Stunden. Sie existierten in einem Zustand reiner Entfremdung, nicht abgemildert von Röhricht oder Weiden und nicht eingefasst von menschlichen Gebäuden, und waren demzufolge reine Geometrie. Wenn auch eine Geometrie unregelmäßiger und organischer Art, eine, die Euklid und auch, so vermutete Daniel, dem silberhaarigen Knight, der neben ihm stand, zuwider war. Doch Hooke hätte hier Schönheit gesehen, wäre fasziniert gewesen und hätte Bilder davon gezeichnet, wie er es mit Fliegen und Flöhen getan hatte.
    »Entstehen immer dieselben Flüsse? Oder sind es bei jeder Gezeit neue, an anderen Stellen?«, überlegte Daniel.
    »So einer kehrt jahrelang immer wieder und macht vielleicht von Gezeit zu Gezeit langsame Veränderungen durch«, antwortete Isaac.
    »Es war eine rhetorische Frage«, murmelte Daniel.
    »Dann weicht, vielleicht nach einem Sturm oder einer außergewöhnlich hohen Flut, das Wasser eines Tages zurück, verschwindet und wird nie wieder gesehen. Im Reich des Unterirdischen gibt es vieles, das dem Verstand so undurchsichtig bleibt wie dem Auge.«
    Nun bewegte sich Isaac über das Poopdeck, um Shive Tor ins Auge zu fassen. Daniel fühlte sich genötigt, an seiner Seite zu bleiben.
    Zu ihrer Linken dehnte sich Grau, so weit das Auge reichte. Vor ihnen erstreckte es sich nur bis zum Ufer der Isle of Grain, die ein paar Meilen entfernt lag. Der Großteil der Insel erhob sich kaum über den Horizont, doch es gab einen Hügel, vielleicht fünfzig bis hundert Fuß über Meereshöhe, begrast, mit ein paar vom Wetter verschreckten Bäumen, die entsetzt die Arme nach hinten warfen. Darauf stand eine kleine, klotzige, alte Steinkirche. Sie kehrte der See die Breitseite zu, als hätten die Steinmetze damit begonnen, eine Mauer zu errichten, hinter der sie Schutz vor dem Wind suchen konnten, und dann ein steiles Dach daraufgesetzt, um die Böen himmelwärts abzulenken. An ihrer Westfront stand ein viereckiger Turm mit flachem Dach und Zinnen, den die Black Torrent Guards zwangsweise als Wachturm in Dienst genommen hatten.
    Zwischen der Atalanta und dem Fuß jenes Hügels wurde die graue Weite von einer unregelmäßigen Linie wogenden Schaums in einen oberen und einen unteren Teil geschieden. Davor war dieser mit Blau und Aquamarin getönt. Dahinter – dem Land näher – war er mit bräunlichen, gelblichen und grünlichen Farben durchsetzt und von unregelmäßig verstreuten Schwellungen im Schlamm gesprenkelt. Seevögel strichen knapp darüber hin, in Zweier- oder Dreiergruppen, als steckten sie aus Sicherheitsgründen zusammen. Ab und zu landeten sie, staksten auf zweigdürren Beinen umher und pickten im Schlamm. Einige taten dies unmittelbar um das Fundament des Shive Tor, der hoch, aber nicht trocken, auf halbem Wege zwischen der Atalanta und dem Fuß des Hügels stand.
    Die vertiefte Fahrrinne des Tor zielte schräg flussabwärts, sodass die Atalanta, um ihre Mündung zu finden, ein Stück weit am Shive vorbeigleiten und dann wenden musste. Die Seeleute schickten sich an, dies zu bewerkstelligen und die Pinasse zu Wasser zu lassen, und sie beeilten sich, denn inzwischen schien es durchaus möglich, dass sie das flüchtende Walboot im Dunkeln verloren. Man hatte von irgendwo eine Flagge mit silbernem Windhund herbeigeholt, die nun an einem kurzen Flaggenstock im Heckbalken der Pinasse befestigt wurde, sodass – wofür auch immer es gut sein mochte – jeder, der sie sah, erkennen würde, dass sie die Queen’s Messengers waren. Zwei Dragoner waren dazu abgestellt worden, das Lot zu werfen und die Tiefe auszurufen, einer an der Backbord-, der andere an der Steuerbordseite des Bugs.
    Barnes stritt mit dem Kapitän der Schaluppe darüber, wer von ihnen mehr Dragoner brauchen würde. Letzterer stellte klar, dass dies Mr. Whites Vergnügungsjacht und kein Schiff der Admiralität sei und dass er demzufolge keine Marinesoldaten an Bord habe; und da das flüchtende Walboot die Anführer von Jacks Organisation – womöglich sogar Jack selbst – in jedem Falle aber die berüchtigtsten und gefährlichsten Hochverräter des Reiches – an Bord habe, müssten die meisten Dragoner eigentlich an Bord der Schaluppe bleiben.
    »Aber Ihr verfolgt ein einzelnes Boot«, sagte Barnes. »Wir dagegen greifen eine steinerne Festung an. Kein Mensch weiß, worauf wir dort

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