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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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leicht zu erreichen gewesen wäre. Er gab sogar deutlich zu erkennen, dass er mit seinem Los an Bord der Miner va vollkommen zufrieden war. Anfangs hatte es gewisse Probleme wegen seiner Rauflust gegeben, die einen Hinweis darauf lieferte, wovor Jones weglief, doch im Laufe der Jahre und Reisen war er zu einem soliden, verlässlichen, wenn auch etwas beschränkten Besatzungsmitglied gereift.
    Auf der Sollseite von Jones’ Konto ließ sich dem Analphabetentum somit eine geheimnisvolle, wahrscheinlich kriminelle Vergangenheit sowie ein Mangel an Ehrgeiz hinzufügen. Er hatte jedoch einen Aktivposten vorzuweisen, den der Offizier, der neben ihm her die Lombard Street hinaufging, nicht besaß: Er war ein weißhäutiger Engländer. Ab und zu verlangte man von Jones, das Beste aus diesem Aktivposten zu machen und eine Kniehose, Lederschuhe, eine Weste, einen langen Überrock von vage seemännischem Schnitt und eine sehr schlichte Pferdehaarperücke anzulegen. Es war dies eine Aufmachung, wie sie ein Schiffsoffizier während der Überquerung eines Ozeans in seiner Truhe verwahren und nach dem Ankerwerfen in irgendeinem Hafen hervorholen würde, damit er an Land gehen und in den Augen von Geldmaklern, Lebensmittelhändlern, Schiffslieferanten und Versicherungsagenten halbwegs anständig aussehen konnte.
    Wenn die beiden eine Mietdroschke anhalten und ein paar Meilen westlich zu den neuen Straßen um Piccadilly und St. James fahren würden, wo eher Shopping als Shipping auf der Tagesordnung stand, wären ihre Rollen in den Augen der meisten Passanten wohl vertauscht worden. Denn Leuten mit einem Blick für Kleidung würde auffallen, dass die von Dappa ihm tatsächlich passte, dass sie erst kürzlich angefertigt worden, gut gepflegt und klug ausgesucht war. Die Spitze an seinen Hemdaufschlägen war niemals durch Bierschaum, Gänsefett oder feuchte Tinte gezogen worden; seine Schuhe glänzten wie gewachstes Obst. Die kultivierten feinen Pinkel im West End würden dann bemerken, dass Dappa älter war, dass er auf alles achtete, was um sie herum vorging, und dass er, wenn sie an Straßenecken gelangten, ging, wohin er wollte, und Jones ihm folgte. Jones blickte sich neugierig um, aber er gab eigentlich nicht auf die gleiche Weise acht, wie Dappa das tat. Ein Bewohner des West End, der das Paar vorbeischreiten sähe, käme vielleicht zu dem Schluss, dass Dappa ein maurischer Diplomat aus Algier oder Rabat und Jones sein örtlicher Führer war.
    Doch man befand sich nicht im West End, sondern in der City von London, nur einen Steinwurf von der Change Alley entfernt. Hier achtete niemand groß auf Kleidung, sofern es sich nicht um eine wirklich vulgäre und schockierende Zurschaustellung von Reichtum handelte. Nach diesem Maßstab waren Dappa und Jones unsichtbar. Dappa, der vorneweg durch die Masse der Geldleute huschte, wurde für den Diener – ein von einer Handelsreise mitgebrachtes, lebendiges Erinnerungsstück – gehalten, der gleichsam einen Pfad durch den Dschungel bahnte und scharf nach Gefahren Ausschau hielt. Jones, der in Dappas Kielwasser einherspazierte, war offensichtlich der Herr, und was in einer anderen Umgebung vielleicht als dümmlicher oder nichtssagender Gesichtsausdruck betrachtet worden wäre, könnte hier ohne weiteres als die nachdenkliche Miene eines Finanzgenies gelten, das die Bedeutung der jüngsten Preisentwicklung bei den Anteilen der Sword Blade Company zu ergründen suchte und keine Lust hatte, sich elegant zu kleiden oder selbst den Weg die Straße entlang zu finden. Die geistesabwesende Art, mit der er alles um sich herum aufnahm, war der Beweis, dass sein Verstand darauf eingestellt war, den schweifenden Melodien des Marktes zu folgen und im Einklang mit dessen verblüffenden Akkorden zu schwingen.
    Jedenfalls redete sich Dappa das ein, um seine Ungeduld zu zügeln, wenn Seemann Jones stehen blieb, um sich an einer Straßenecke an eine hübsche Apfelsinenverkäuferin heranzumachen, oder die Hand ausstreckte, um von einem schmutzigen, brüllenden Pamphletisten ein Flugblatt entgegenzunehmen. Als sie endlich am Eingang von Worths Kaffeehaus in der Birchin Lane, dem heraklitischen Getümmel der Change Alley genau gegenüber, anlangten, ließ sich Dappa zurückfallen. Jones schob sich nach vorn und betrat das Kaffeehaus als Erster. Ein paar Augenblicke später zog Dappa für Jones den Stuhl zurück, während sich dieser an einem freien Tisch niederließ, und eilte dann hinter einer Kellnerin her,

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