Principia
mit einem Baldachin. Als Caroline die Allee entlangblickte, sah sie die gesamten anderthalb Meilen zu einer einzigen, kompakten Perspektive verkürzt, die nur da und dort von einer kleinen, ungeordneten Linie von Höflingen oder Gärtnern geschnitten wurde.
Was ihre Gärten anging, war Sophie ebenso imperialistisch wie Ludwig XIV. mit seinen Festungen. Ließe man beiden freien Lauf, würden ihre Hecken und Rabatten eines Tages irgendwo in der Gegend von Osnabrück mit seiner barrière de fer zusammenstoßen und eine Pattsituation herbeiführen.
Carolines erster Spaziergang in den Gärten von Herrenhausen hatte zehn Jahre zuvor stattgefunden, als Sophie Charlotte die verwaiste Prinzessin aus Berlin hatte holen lassen, damit sie sich von Georg August den Hof machen ließ. Die junge Caroline hatte die Kurfürstin schon ein paar Jahre gekannt, doch war ihr nie die Ehre zuteil geworden, zu einem Spaziergang aufgefordert zu werden.
Leibniz hatte die beiden seinerzeit begleitet, denn er und Sophie Charlotte teilten so etwas wie eine platonische Vernarrtheit ineinander. Was Sophie anging, so hatte sie nichts dagegen gehabt, dass der Doktor sich anschloss, da es sich häufig als nützlich erwies, eine wandelnde Bibliothek dabeizuhaben, in der man obskure Fakten nachsehen konnte.
Der Plan war von bewunderungswürdiger Einfachheit und, so hätte man meinen können, narrensicher gewesen. Der Garten, der fünfhundert auf tausend Ellen maß, wurde von einem Reitweg gesäumt, der ein Rechteck beschrieb und seinerseits von einem Wasserlauf eingefasst wurde. Sophie, Sophie Charlotte und Caroline sollten den Garten von Schloss Herrenhausen aus, das sich am Nordende erhob, einmal zügig umrunden. Leibniz würde sich nach Kräften bemühen, mit ihnen Schritt zu halten. Die Bewegung würde etwas Farbe in Carolines Wangen bringen, die normalerweise so aussahen, als wären sie aus Bibliothekskleister geformt. Kurz bevor sie die Runde vollendeten, würden sie in das Labyrinth abbiegen, wo sie auf den jungen Georg August stoßen würden. Er und Caroline würden sich zusammen »entfernen« und in dem Labyrinth »verirren« – obschon Sophie und Sophie Charlotte natürlich niemals mehr als zwei Ellen von ihnen entfernt sein und auf der anderen Seite eines dünnen Schirms von Hecken lauern würden wie Wespen, die zustachen, wann immer sie eine Öffnung bemerkten. Jedenfalls würden die jungen Leute dank irgendeiner liebreizenden Verbindung von Georgs Vernunft und Carolines Klugheit gemeinsam aus dem Labyrinth entkommen und sich zart errötend voneinander verabschieden.
Die Kurfürstin, die Königin, die Prinzessin und der Gelehrte waren genau wie vorgesehen von Schloss Herrenhausen aufgebrochen, und Sophie hatte den Plan mit dem ganzen sturen Ungestüm, mit dem der Herzog von Marlborough die französische Front bei Tirlemont eingedrückt hatte, in die Tat umgesetzt. Jedenfalls hatte es so ausgesehen, bis sie etwa zwei Drittel des Weges um den Garten zurückgelegt hatten und in einen Abschnitt des Reitweges gelangt waren, den die Äste großer Bäume überwölbten, sodass er wild und einsam wirkte. Dort wurden sie von einer Art Stoßtrupp, der von Sophies Sohn und Erben Georg Ludwig angeführt wurde, aus dem Hinterhalt überfallen.
Es geschah neben dem Wrack der Gondel.
Als lieb gewordenes Erinnerungsstück an seine Tage jugendlichen Herumhurens in Venedig hatte Sophies verstorbener Mann Ernst August eine Gondel mitgebracht, und mit ihr einen Gondoliere, der sie auf dem Wasserweg, den Sophie als Kanal bezeichnete und den Georg Ludwig beharrlich Burggraben nannte, um den Garten herumstaken sollte. Im norddeutschen Wetter eine Gondel zu unterhalten hatte sich als schwierig erwiesen, und Gondolieri zu unterhalten als noch schwieriger.
Zur Zeit dieses ersten von Carolines Gartenspaziergängen war Ernst August seit sieben Jahren tot. Sophie, die das Faible ihres verstorbenes Mannes für die fleischlichen Freuden Venedigs nicht teilte und keinerlei Affinität zu seiner eingebildeten Verwandtschaft mit den Welfen verspürte, hatte die Gondel auf einer Schlammbank hart auf Grund laufen lassen. Dort hatten sich Eisstürme und Ohrwürmer über das Boot hergemacht. Zufällig, vielleicht aber auch aufgrund irgendwelcher umständlicher Planungen von Georg Ludwig, waren die Mutter und ihre Entourage an einer Stelle des Reitweges, die dem Wrack der Gondel ganz nahe war, auf den Sohn und seine Entourage getroffen. Das Boot lag schief und schuppte
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