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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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gelegentlich ein Geriesel von Blattgold in den Kanal, fast so, als wäre es als memento mori hier platziert worden, um junge Prinzen dazu zu bringen, über die flüchtige und unbeständige Natur ihrer jugendlichen Leidenschaften nachzudenken. Falls dem so war, hatte Georg Ludwig es falsch gedeutet. »Hallo, Mama, und hallo, Sissy«, hatte er zur Kurfürstin von Hannover beziehungsweise zur Königin von Preußen gesagt. Und dann, nach ein paar Artigkeiten: »Ist es nicht traurig, hier unter all den Blumen auf die schäbige alte Ruine von Papas Gondel zu stoßen?«
    »Blumen sind Schönheit, die lebt und stirbt«, hatte Sophie geantwortet. »Heißt das, ich soll meinen Garten umpflügen lassen, wenn die Blütenblätter zu fallen beginnen?«
    Es folgte ein kompliziertes Schweigen.
    Wäre dies Versailles und Georg Ludwig nicht gar so gleichgültig gewesen, wäre Sophies Bemerkung unter die Kategorie eines in die Schulter gefeuerten Warnschusses gefallen: nicht tödlich, aber ausreichend, um das Opfer hors de combat zu setzen. Doch es handelte sich um Georg Ludwigs Hinterhof, und er war überaus gleichgültig – vorausgesetzt, dass er überhaupt etwas mitbekam. Sophies Bemerkung hatte die Form eines Vergleichs welker Blumen mit der verrottenden Gondel angenommen. Mit solchen Konstruktionen hatte Georg Ludwig Probleme, so wie manche Menschen die Farbe Grün nicht sehen konnten. Und außerdem besaß er, zum Guten oder Schlechten, die vis inertiae eines Munitionskarrens. Um ihn bei jenen außergewöhnlichen Gelegenheiten, da er sich in Bewegung setzte, aufzuhalten, brauchte es mehr als Warnschüsse. Von allen Menschen auf der Welt wusste Sophie das am besten. Warum also machte sie sich die Mühe? Denn indem sie eine Analogie zu Blumen herstellte, äußerte sie sich effektiv in einer Geheimsprache, die ihr Sohn nicht entschlüsseln konnte. Vielleicht dachte die Kurfürstin lediglich laut; vielleicht richtete sich die Botschaft aber auch an andere.
    Jahre später sollte Caroline verstehen, dass die Botschaft an sie gerichtet war. Sophie hatte versucht, der kleinen Prinzessin beizubringen, wie man Königin oder wenigstens wie man Mutter war.
    Einer von Georg Ludwigs Begleitern hatte dies zumindest teilweise begriffen und trat nun vor. Über seine Beweggründe ließen sich nur Vermutungen anstellen. Vielleicht wollte er sich, um seine Loyalität zu zeigen, Sophies nächsten Schuss in die Brust jagen lassen. Vielleicht hoffte er, Georg Ludwig abzulenken. Vielleicht wollte er von Caroline bemerkt werden, die noch nicht verlobt war. Jedenfalls vollführte er eine elegante Verbeugung, sodass alle in den vollen Genuss seines Federschmucks kamen. »Wenn Eure Königliche Hoheit erlauben«, sagte er in einem seltsam verzerrten Französisch, »vielleicht könnte man einen Gärtner anweisen, die toten Blüten abzuzupfen, um dem Garten ein gefälligeres Äußeres zu verleihen.«
    Dies war Harold Braithwaite, der etwa um diese Zeit aus England herübergekommen war, um der Strafverfolgung in London zu entgehen und um sich in Hannover lieb Kind zu machen. Er hatte in der Schlacht von Blenheim etwas Verwegenes getan und Glück damit gehabt. Nun war er ein Earl oder etwas dergleichen.
    »Mein Englisch ist nicht so gut, dass ich Euer Französisch verstehe«, hatte Sophie zurückgegeben, »aber ich entnehme Euren Worten, dass Ihr mir einen Rat erteilen wollt, wie ich meinen Garten gestalten soll. Bitte nehmt zur Kenntnis, dass ich meinen Garten so liebe, wie er ist: nicht nur das, was darin lebt, sondern auch das, was darin stirbt. Er ist nicht dazu gedacht, irgendein Phantasma ewigen und vollkommenen Lebens zu sein. Einen solchen Garten hat es einmal gegeben, jedenfalls lehrt uns das die Bibel; aber es nahm ein böses Ende mit ihm dank einer Schlange, die aus einem Baum fiel.« Dies mit einem sehr skeptischen, Braithwaite von Kopf bis Fuß musternden Blick, worauf dieser magentarot anlief und sich zurückzog.
    Georg Ludwig war leicht aus der Ruhe gebracht worden, aber nicht vom Inhalt von Sophies Bemerkungen (der völlig an ihm vorbeigerauscht zu sein schien), sondern von ihrem Ton, welcher derjenige einer kriegführenden Königin war, die einen angebotenen Vertrag zurückweist. Ein anderer Mann hätte vielleicht Gefahr gewittert, einen Rückzieher gemacht und Abbitte geleistet. Aber das Trägheitsmoment trieb Georg Ludwig voran. »Ich mache mir nichts aus Blumen«, sagte er. »Aber wenn wir die Gondel aus dem Graben entfernten, wäre beim

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