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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Karneval Platz für Galeeren.«
    Es war eine alte Familientradition, im Frühjahr einen Karneval im venezianischen Stil zu inszenieren.
    »Galeeren«, hatte Sophie mit distanzierter Stimme wiederholt, »sind das nicht diese Kriegsschiffe, die von stinkenden, elenden Sklaven im Mittelmeer umhergerudert werden?«
    »Solche sind zu groß, um in unseren kleinen Graben zu passen, Mama«, hatte Georg Ludwig zuvorkommend erwidert, »ich hatte an kleine gedacht.«
    »Kleine? Heißt das, nur ein paar Rudersklaven?«
    »Nein, nein, Mama. So wie Ludwig XIV. in Versailles zur Unterhaltung aller bedeutenden Personen, die dort wohnen, auf dem Kanal schwimmende Aufzüge und nachgestellte Seeschlachten inszeniert, könnten auch wir unseren nächsten Karneval beleben, indem wir -«
    »Wenn der nächste noch lebhafter wird als der letzte, wird er mich wahrscheinlich umbringen!«
    »Lebhaft, jawohl, Mama, unser Karneval war immer so. Und das passt ja auch zu einer Art -«
    »Einer Art was?«
    »Sonderbarer und eigenartiger Familientradition. Für uns ergötzlich. Für Außenstehende vielleicht ein wenig unergründlich.« Ein winziger Blick in Richtung Braithwaite.
    »Vielleicht wünsche ich ja gar nicht, von Außenstehenden ergründet zu werden.«
    Der Spanische Erbfolgekrieg war auf seinem Höhepunkt. An der Spitze mächtiger protestantischer Legionen stürmte Marlborough nach Belieben durch Europa. Der Whig-Junto in England bemühte sich, Sophie zum Umzug nach London zu bewegen, wo sie eine Art Königin im Wartestand abgeben sollte, bis Anne ihr Leben aushauchte. Und so konnte man es Georg Ludwig vielleicht nachsehen, dass er sich ein wenig um seinen Platz auf der Welt sorgte. Falls ja, so schien aus Sophies Richtung keinerlei Nachsicht zu kommen. Georg Ludwig machte trotzdem weiter, ein außer Kontrolle geratener Munitionskarren, der eine Böschung hinunterrollte. »Dieses Haus, diese Gärten werden für Britannien bald das werden, was Versailles für Frankreich ist. Unser Zuhause, Mama, wird ein Ort von großer Bedeutung. Was für die femmes ein Ort für Tändeleien im Garten war, wird Schauplatz bedeutender Gespräche werden.«
    »Aber das ist es bereits, mein kleiner Prinz«, hatte Sophie entgegnet, »oder soll ich sagen, das war es , bis unser Gespräch unterbrochen und von diesem abgelöst wurde.«
    Caroline hatte dies lediglich als komisch empfunden, da sie in Wirklichkeit über eine Cousine gesprochen hatten, die dazu neigte, zuzunehmen, wenn ihr Mann an der Front war. Aber lange lächelte sie nicht. Es war für alle offenbar geworden, dass Sophie überaus wütend war, und so stachen ihre Worte in eine fiebrige Stille hinein. »Das Blut des Hauses Plantagenet fließt in diesen Adern«, hatte sie gesagt und ein milchweißes Handgelenk entblößt, »und in deinen. Die kleine Prinzessin im Tower ist gestorben, die Häuser York und Lancaster wurden vereinigt, und sechs vollkommen reizende Damen opferten sich auf dem Bett unseres Ahnen, Heinrichs VIII., damit wir ins Leben treten konnten. Die Römische Kirche wurde aus Britannien hinausgeworfen, weil sie ein Hindernis für die Fortpflanzung unserer Linie darstellte. Für uns zog die Winterkönigin den ganzen Dreißgjährigen Krieg hindurch einer Vagabundin gleich durch die Christenheit. Dies alles, damit ich zur Welt kommen konnte und damit du zur Welt kommen konntest. Jetzt herrscht meine Tochter über Preußen und Brandenburg. Britannien wird dein sein. Wie ist es dazu gekommen? Warum herrschen meine Kinder über die reichsten Lande der Christenheit und nicht seine?« Sie deutete auf einen Gärtner, der eine Schubkarre voller Mist schob, die Augen verdrehte und den Kopf schüttelte.
    »W-wegen des göttlichen Ichors, der in Euren Adern fließt, Mama?«, antwortete der Prinz mit einem nervösen Blick auf das Handgelenk.
    »Eine kluge Vermutung, aber falsch. Im Gegensatz zu dem, was deine Sykophanten dir erzählt haben mögen, hat der Inhalt unserer Adern nichts Ichorartiges und schon gar nichts Göttliches. Unsere Linie überdauert nicht wegen irgendwelcher unheimlicher Beimischungen in unserem Blut oder sonst etwas Vererbtem. Sie überdauert, weil ich jeden Tag in meinem Garten spazieren gehe und mit deiner Schwester und mit deiner künftigen Schwiegertochter rede, genau wie es meine Mutter, die Winterkönigin, mit mir gemacht hat. Sie überdauert, weil ich sogar noch im fünfzehnten Kriegsjahr fast jeden Tag Briefe mit meiner Nichte Liselotte in Versailles wechsle. Du magst –

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