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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Gedankengang von irgendwem unterbrechen lassen zu müssen. Eine Prinzessin hatte sich nicht eitlen Vergnügungen hinzugeben. Caroline konnte nicht in einem Salon von Herrenhausen irgendeiner beliebigen Gräfin guten Tag sagen, ohne der Begegnung ebenso viel Vorbedacht und konzentrierte Aufmerksamkeit zu widmen, wie Georg August es im Falle einer Kavallerieattacke täte. Würde sie es im falschen Ton sagen oder der Gräfin mehr oder weniger Aufmerksamkeit schenken, als diese verdiente, würde sich das bis zum Abend in ganz Hannover herumsprechen, und vierzehn Tage später könnte sie mit einem Brief von Liselotte aus Versailles rechnen, in dem diese sich erkundigen würde, ob es denn stimme, dass sie eine Affäre mit dem Grafen Soundso habe, und einem zweiten von Eliza aus London, die fragen würde, ob sie sich von ihrer Fehlgeburt vollständig erholt habe. Es war besser, sich inkognito in das Schloss zu schleichen.
    Dieses Ende des Gartens, das dem Schloss am nächsten lag, war in ein Gitter weitgehend rechteckiger französischer Gärten von etwa Tennisplatzgröße unterteilt. Was hier den Blick auf sich zog, waren nicht die Pflanzen, sondern die Statuen: die unvermeidlichen Herkules, Atlas et cetera . Die Götter und Helden Roms erhoben sich aus so etwas wie einer fanatisch aufrechterhaltenen Tundra: Buchsbaum, gestutzt zu Mikrohecken, die nicht mehr als eine Spanne hoch und breit waren, und Blumenmuster, bevölkert mit Bienen, die unentwegt ein leises Summen goldener Betriebsamkeit aufrechterhielten. Es war ein schöner Platz für überspannte Adelige – die Sorte, die, mit Sophie zu sprechen, jeden Furz für einen Donnerschlag hielt -, wo sie einige Augenblicke lang promenieren konnten, um dann ins Schloss zurückzuflitzen und den Hof mit Geschichten über ihre Abenteuer in der Wildnis zu regalieren. Eigentlich war es nichts weiter als ein dachloser Anbau des Schlosses. Herrenhausen erhob sich auf mäßig eindrucksvolle Weise über diesen französischen Gärten, während seine nur ein Stockwerk hohen Flügel sie umfingen. Der Mittelbau des Schlosses hätte nicht ausgereicht, die Gartengeräte Ludwigs XIV. unterzubringen. Auf seine drei Stockwerke verteilte sich ein bloßes Dutzend Fenster. Aber Sophie gefiel es so. Versailles war ein Zuchthaus für sämtliche bedeutenden Persönlichkeiten Frankreichs und musste groß sein. Herrenhausen war ein Ort, wo Dinge erledigt wurden, und musste klein und aufgeräumt sein.
    Caroline wusste, dass sie wahrscheinlich von mehreren dieser Fenster aus gesehen worden war, daher kehrte sie dem Schloss den Rücken und entfernte sich davon, wobei sie einem kiesbestreuten Streifen zwischen zwei französischen Gärten folgte. Kurz darauf gelangte sie zu einer hohen Hecke, die zu einer kantigen Mauer gestutzt war und die sie an einer viereckigen Öffnung durchschritt. Wenn die gesamte Gartenanlage ein aus Lebendigem errichtetes Schloss war, so waren die französischen Gärten dessen konventioneller Salon, von wo aus Durchgänge zu privateren und eigenwilligeren Räumen führten. Auf einer Seite gab es, umgeben von Hecken und bewacht von Cherubim, ein Freilichttheater. Auf der anderen Seite befand sich das Labyrinth, wo Georg Augusts Werben um sie begonnen hatte. Caroline jedoch ging hinten hinaus. Eine Reihe kleiner, spiegelnder Teiche bildete einen stillen Puffer zwischen der vorderen und der hinteren Hälfte des Gartens. Jeder war von einem Stück Garten umgeben, das etwas weniger streng anmutete als die französischen Gärten. Caroline ging zwischen zweien hindurch und drehte sich dann rasch zu einem Blick auf das Schloss um. In den französischen Gärten war sie von jedem Fenster aus zu sehen gewesen. Jetzt stand sie im Begriff, im Garten zu verschwinden, und wollte sich zuvor vergewissern, dass man sie bemerkt hatte. So war denn auch direkt am Kopfende des Gartens, wo sich zwei Treppen im Bogen vom Hauptgeschoss des Schlosses zu den französischen Gärten hinabschwangen, ein Kontingent Stallburschen eilends mit einer Eskadron Träger und Lakaien zusammengetroffen. Sie bereiteten die Bühne für das rituelle Maskenspiel, das jedes Mal aufgeführt wurde, wenn Sophie aus ihrer Behausung kam. Caroline sah nur so lange zu, bis sie sich beim Lächeln ertappte.
    Sie drehte sich abermals um und schob sich durch eine höhere und dunklere Barriere: eine Reihe Bäume, die so beschnitten waren, dass sie eine haushohe Wand bildeten. In der hinteren Hälfte des Gartens konnte sie sich dank

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