Principia
zeitweiligen Vorteil zu verschaffen, da könnte man, fürchte ich, gegen sie einen Kniff anwenden, durch den sich das Blatt wendet.«
»Ganz recht! Und damit kommen wir zur Bedeutung von Annes Brief!«, verkündete Sophie und hieb mehrmals mit ihrem Elfenbeinfächer auf das Pergament. Zugleich gab die Baumwand hinter ihnen ein Ächzen von sich, als wäre sie von einer Faust kalter Luft getroffen worden. Der Wind hatte von Süden auf Westen gedreht; das Wetter änderte sich; Herrn Schwartz’ Gelenke hatten ihn nicht getrogen. Die Baumwand bog sich auf die beiden Frauen zu, als wollte sie ein Schutzdach über sie breiten, und ein trockenes Gestöber aus braunen Blättern und kleinen Zweigen ließ Luft und Boden in winzigen Schauern und Zuckungen erbeben. Sophie – die von allen Menschen am wenigsten dazu neigte, einen Furz für einen Donnerschlag zu halten – schenkte dem keinerlei Beachtung. Vielleicht war sie zu sehr ins Gespräch vertieft, um sich darum zu kümmern. Oder sie fühlte sich an diesem Ort so wohl, dass sie keinerlei Gefühl von Besorgnis empfinden konnte.
Wenn Sophie nicht vom Wetter zu sprechen wünschte, so wäre es ebenso hoffnungslos wie unhöflich, das Thema zur Sprache zu bringen, weshalb Caroline sich mit Gesten begnügte. Sie krümmte zum Schutz gegen den kalten Wind den Rücken, verschränkte die Hände auf dem Knie und schaute himmelwärts. Dann antwortete sie: »Der Brief der Königin hat mit Geld zu tun?«
»Sei nicht albern, sie weiß gar nicht, was Geld ist. Und würde, selbst wenn sie es wüsste, niemals über etwas derart Vulgäres schreiben. Der Brief betrifft Familienangelegenheiten. Mehrere Absätze sind deinem Mann gewidmet.«
»Das macht mich noch mehr frösteln als das eben erfolgte Drehen des Windes.«
»Sie nennt ihn bei seinen englischen Titeln: Herzog von Cambridge, Earl of Milford Haven, Viscount Northallerton, Baron Tewkesbury«, sagte Sophie, welche die Namen mit trockenem Amüsement von dem Brief ablas.
»Nun foppt Ihr mich, indem Ihr mir nicht vorlest, was in dem Brief steht.«
»Ich foppe dich nicht, sondern ich tue dir einen Gefallen, mein Herz.«
»Ist er so schlimm?«
»Der bisher Schlimmste.«
»Hat mein Schwiegervater ihn schon gesehen?«
»Georg Ludwig hat ihn nicht gelesen.«
»Mein Mann und ich wären jetzt in England«, beklagte sich Caroline, »und er säße im House of Lords, wenn Georg Ludwig bloß das Rückgrat besäße, uns gehen zu lassen. Ein weiterer derartiger Brief von Königin Anne schüchtert ihn nur noch mehr ein und verzögert unsere Abreise um einen weiteren Monat.«
Sophie lächelte mitfühlend. »Georg Ludwig kann diesen Brief nicht lesen, wenn wir beide von einem Regenschauer überrascht werden und die Tinte zerläuft.«
Durch den Ärmel von Carolines Kleid drang ein kalter Tropfen, der ihr einen Schauer über den Arm jagte. Sie lachte. Sophie rührte sich nicht. Ein Regentropfen klatschte auf den Brief. »Allerdings«, fuhr Sophie fort, »darfst du dich nicht täuschen. Mein Sohn wird euch nicht nach England gehen lassen, so viel ist richtig. Aber das liegt nicht einfach daran, dass Königin Anne diese Vorstellung zuwider ist. Georg Ludwig hat seine Fehler. Niemand weiß das besser als seine Mutter. Aber Rückgratlosigkeit zählt nicht dazu! Er sperrt dich und Georg August in Hannover ein, weil er auf seinen Sohn – dessen Haltung und Schlachtenruhm – neidisch ist und den Frauen seines Sohnes nicht traut.«
»Ihr meint Mrs. Braithwaite?«
Sophie zuckte kurz zusammen. »Sie ist ein Staubkorn. Jeder weiß das, außer dir. Du, Eliza, die verstorbene Sophie Charlotte und ich – die Frauen, die im Garten spazieren gehen – gleichen für Georg Ludwig einem Hexensabbat. Es entsetzt ihn, dass sein Sohn und Erbe sich bei uns wohlfühlt und Informationen mit uns teilt. Aus diesem Grund wird er Georg August und dir niemals die Erlaubnis geben, nach England zu ziehen. Er mag das hier als Vorwand verwenden« – sie hielt den Brief hoch, sodass viele angesammelte Regentropfen, schwarz von zerlaufenen Beschimpfungen, hinab und über die Unterschrift der Königin von England rannen -, »aber davon darfst du dich keinesfalls täuschen lassen.«
Nun kam ein kräftiger Windstoß durch, der irgendwo einen Ast brechen ließ. Was sich an Regenwasser auf den Blättern gesammelt hatte, wurde abgeschüttelt und rauschte um sie herum zu Boden. Zum ersten Mal blickte sich Sophie um und wurde gewahr, dass sich dies zu etwas mehr als einem
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