Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
Augen waren zu alt, und er stand zu weit entfernt, um sie in allen Einzelheiten wahrzunehmen; aber er wusste, worum es sich handelte. »Ach, der Glückliche!«, sagte er sehnsüchtig, »wenn ich doch nur die nächste Stunde mit ihm tauschen könnte!«
    Newton richtete sich auf und verlangsamte klugerweise seinen Schritt. Er hob den Blick und ließ ihn herumgehen, als fragte er sich, ob einer der Engel droben etwas gehört hatte. »Wohin gehen wir, Mylord?«
    »Zur Sternkammer«, verkündete Ravenscar und packte zugleich Newtons Arm fester, damit das grimmige Wort den hervorragenden Naturphilosophen nicht in die Flucht schlug. Sir Isaac ließ keine entsprechenden Absichten erkennen; aber er war verblüfft. Er hatte damit gerechnet, dass Roger Comstock eines der Gebäude des Schatzamtes nennen würde, die in den letzten Jahrzehnten von der Nordostecke der Hall aus weit und auf breiter Front vorgerückt waren, sodass sie den Raum zwischen ihr und dem Fluss beinahe vollständig ausfüllten. Die Sternkammer dagegen war klein und alt; die Könige von England hatten sie dazu benutzt, mit ihrem Kronrat zusammenzutreffen. »Wer hat uns rufen lassen?«, fragte Newton.
    Als läge die Antwort auf der Hand, sagte Roger: »Der Aal.« Das mysteriöse Epithet laut auszusprechen schien seine Konzentration zurückzubringen. »Wir sind nur noch Sekunden davon entfernt. Wir könnten Zeit gewinnen, indem wir langsam gehen; aber ich möchte dort enthusiastisch eintreten. Ich kann gar nicht genug betonen, wie wichtig das ist. Deshalb müsst Ihr genau zuhören, Sir Isaac, da ich dies nur ein einziges Mal sagen kann.«
    »Wie es scheint«, fuhr Roger fort, »hat man mir nur erlaubt, mich mit dem Längengrad zu zerstreuen, damit der ehrenwerte Lord Henry St. John, Viscount Bolingbroke, so etwas wie ein Marionettentheater vorbereiten konnte. Die Einladung wurde mir überraschend ausgehändigt, während Ihr ausgesagt habt. Ich bin mir sicher, Bolingbroke hätte sie lieber an einem Pfeil befestigt und mir diesen in den Bauch geschossen, aber ein solches Vorgehen, das man bei den Lords häufig erlebt, wird bei den Commons noch immer mit Stirnrunzeln bedacht. Euch, Sir Isaac, wird Zugang zur Hinterbühne des Marionettentheaters gewährt, was den Verdacht in mir weckt, dass man Euch auffordern wird, die Hauptrolle zu spielen.«
    Sir Isaac wurde ganz ruhig und still, was die von ihm gewohnte Art war, seinen Zorn zu zeigen. »Das ist ein Affront. Ich bin hierhergekommen, um über den Längengrad zu sprechen. Nun sagt Ihr, dass ich in einen Hinterhalt geraten bin.«
    »Ich bitte Euch, Sir Isaac, fasst es auf keinen Fall als Affront auf. Denn wenn Männer alt und wichtig werden und ein gelegentlicher Hinterhalt sie verdrießlich stimmt, werden sie für genau diese Taktik am anfälligsten. Seid verdutzt, unbekümmert, ausgelassen – am besten wäre es, Ihr nehmt es von der sportlichen Seite!«
    Newton wirkte im Augenblick nicht sehr sportlich. Das Portal zur Sternkammer gähnte nun so groß vor Ravenscars Augen wie der Rachen des Wals vor Jonas. »Gleichviel«, sagte er, »nehmt es meinethalben als Affront – nur meldet Euch auf keinen Fall aus eigenem Antrieb zu Wort. Wenn Ihr in der Debatte etwas wahrnehmt, was wie eine Gelegenheit zum Einhaken erscheint, so denkt daran, dass sie Euch auf raffinierte Weise von Bolingbroke dargeboten wurde, so wie Kokotten ihr Taschentuch vor Männern fallen lassen, die sie umgarnen wollen.«
    »Ist Euch das eigentlich jemals passiert, Roger?« Inzwischen hatte sich ihnen Walter Raleigh Waterhouse Weem alias Peer angeschlossen, der wie Roger ein Whig-Lord war. »Ich habe schon von dieser Praxis gehört, aber -«
    »Nein, es war nur eine Redewendung«, gab Roger zu.
    Doch diese Weem/Comstock’sche Unbekümmertheit – in Wirklichkeit so etwas wie eine Yogaübung zur Beruhigung der Nerven – verfehlte bei Newton ihren Zweck. »Welchen Sinn hat es, an einer Debatte teilzunehmen, wenn ich jede Gelegenheit zum Einhaken außer Acht lassen soll?«, wollte er wissen.
    »Hier findet ebenso wenig eine Debatte statt wie am Hinrichtungstag am Tyburn Cross. Viscount Bolingbroke dürfte dabei unser Henker sein. Alles, was wir sagen dürfen, wird sich seiner Natur nach auf letzte Worte beschränken. Unsere Antwort – vorausgesetzt, wir bringen eine zustande – wird aus Taten, nicht aus Worten bestehen, und gegeben wird sie... außerhalb... dieser... Kammer!« Roger achtete darauf, dass er das letzte Wort genau in dem Moment

Weitere Kostenlose Bücher