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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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riesiges gordisches Gewirr von abgenutztem Tauwerk beherbergte, dazu bestimmt, von den aufgesprungenen Fingern eingekerkerter Huren zu Kalfatwerg zerzupft zu werden. In jenem hohen Fenster, wo gerade ein zwölfjähriger Taschendieb den Penis zwischen Gitterstäben hindurchsteckte, um in die Luft zu urinieren, mochte einmal eine Prinzessin auf den Fleet hinausgeschaut haben, damals, als er noch ein Bach und kein Abwasserkanal gewesen war. Ritter mochten ihre Schlachtrösser in jenem langen Gebäude eingestallt haben, das nun eine dröhnende, staubige Werkstatt war.
    Eine junge Frau von eher romantischer Veranlagung hätte sich vielleicht den ganzen Tag große Mühe gegeben, aus diesem sozialen und architektonischen Misthaufen eine präsentable Phantasie zu machen. Caroline hielt die Anstrengung nur so lange aufrecht, bis Zurufe und Pfiffe aus diversen vergitterten Fenstern sie daran erinnerten, dass sie in diesem Hof, der normalerweise dazu diente, neue Gefangene in Empfang zu nehmen, fehl am Platze waren.
    »Beachtet sie nicht«, empfahl Daniel, der sie durch einen Torweg in einen Innenhof geleitete. »Standespersonen kommen häufig hierher, um die Gefangenen anzugaffen, obschon es heißt, Bedlam biete ein sehr viel unheimlicheres Schauspiel. Die Insassen werden alle denken, wir wären Touristen.«
    Es war deutlich geworden, dass der Palast mindestens zwei Flügel hatte, die allerdings nicht sehr gut zueinanderpassten. »Wir werden nicht dort entlanggehen«, sagte Daniel mit einer Kopfbewegung nach links, »dort sitzen nur Männer: Taschendiebe, Zuhälter und Lehrlinge, die ihrem Lehrherrn die Nase gebrochen haben. Bitte folgt mir auf die Frauenseite.« Er sprach bedächtig, bewegte sich aber zügig: eine Taktik, mit der er sie dazu anhalten wollte, sich zu beeilen und die unzähligen Ablenkungen zu ignorieren, die sich ihnen boten. »Ich werde euch allen durch viele Türen vorangehen – und damit jedes Mal einen unverzeihlichen Verstoß gegen die Etikette begehen -, doch wie ihr inzwischen bemerkt haben dürftet, ist dieser Palast kein Versailles. Bitte achtet darauf, wo ihr hintretet.« Dies Letztere, während er eine Reihe von Vorratskammern, Treppen und Korridoren durchschritt, die einmal der Wirkungskreis irgendwelcher niedriger Diener gewesen sein mochten. Dann schob er sich durch eine Tür, der sie in einen Raum von verblüffender Breite und Höhe brachte: so etwas wie eine alte Halle, in der vielleicht Earls an langen Tafeln gespeist hatten. Es gab darin zwei vorherrschende Typen von Möbelstücken: Klötze und Pranger. Die Klötze waren nichts weiter als Scheiben großer Baumstämme, die sich bis auf mittlere Schenkelhöhe erhoben. Vor jedem stand eine Frau. Alle Frauen waren jung, denn ihre Arbeit war zu anstrengend für junge Mädchen oder alte Matronen. Jede von ihnen führte einen riesigen Hammer: ein auf den Stiel einer Axt aufgestecktes Stück Hartholz von einer Spanne Durchmesser und einem Fuß Länge. Über die Oberfläche der Klötze schlängelten sich Stränge von geröstetem Hanf, das heißt Stängel der Hanfpflanze – eine Elle länger als ein Mensch und ein paar Zoll im Durchmesser -, die vor einigen Monaten von den Blättern befreit, in stehende Teiche in den Lambeth Marshes geworfen und mit Steinen beschwert worden waren. Dort war das Wasser in das Gewebe dieser Stängel eingedrungen, hatte es faulen lassen und dabei den Kleber, der die Fasern zusammenhielt, nicht aber die Fasern selbst angegriffen. In der Sonne getrocknet, hatte man sie per Lastkahn nach Bridewell befördert und an einem Ende der Halle zu einem riesigen Bündel aufgehäuft. Aus diesem Haufen zerrten jüngere Mädchen unaufhörlich neue Stängel, schleiften sie über das Pflaster und boten sie auf freien Klötzen zum Opfer dar. Kaum war ein solcher Stängel zum Liegen gekommen, hob ein umherstreifender Mann in einer Schürze eine Hand, die einen Rohrstock hielt, in die Luft und heftete einen gierigen Blick auf den nur durch eine dünne Kalikoschicht geschützten Rücken einer Frau. Hob sie nicht binnen eines Herzschlages den Hammer und ließ ihn auf den Stängel herabsausen, so fuhr der Stock nicht weniger heftig auf ihren Rücken herab. Jeder Stängel musste auf ganzer Länge und in ganzem Umfang immer wieder gehämmert werden, um den Brei von verfaultem und getrocknetem Stängelmark von den langen, dunklen Fasern zu trennen. Die Hämmer dröhnten in einer niemals endenden Salve auf die Klötze herab, der Abfall fiel wie

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