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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Windlade drückte, indes der andere sich hob und Luft ansaugte. Die Frauen schienen eine endlose Treppe zu ersteigen. Es handelte sich um ein Zweiergespann mit üppigem Busen, breiten Hüften, fransigen Haaren und apfelroten Wangen, die mit jedem Augenblick röter und glänzender wurden, und beide schienen ihre Arbeit sehr vergnüglich zu finden. Während sie die Besucher mit unverhohlener Neugier anstarrten, behielten sie zugleich ein U-Rohr aus Glas im Auge, das mit Quecksilber gefüllt war, welches jedes Mal, wenn eine von ihnen das Gewicht von einem Fuß nahm, in eine Richtung schoss und wieder zurückfuhr, wenn sie das Gewicht auf den anderen verlagerte. Auf einer Seite hatte man ein rotes Band um das Rohr geschlungen und so eine bestimmte Höhe markiert. Man musste den Besuchern nicht eigens erklären, dass die Übung zum Ziel hatte, das Quecksilber bis auf die Höhe dieses Bandes steigen zu lassen.
    Auf der anderen Seite der Windlade befand sich eine Konsole, die eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Spieltisch einer Orgel aufwies. Aber sie hatte nur zweiunddreißig Tasten ohne Halbtöne, und einige davon klemmten in heruntergedrückter Stellung fest. Die Organistin war eine junge Frau mit langem, zu einem lockeren Knoten gebundenem, zimtfarbenem Haar. Wie jede andere Frau in Bridewell trug sie ein Kleid, das so aussah, als hätte es ein Blinder aus einer Lumpenkiste gepflückt; aber es war sauber, und sie hatte offensichtlich so manche Stunde damit hingebracht, es zu flicken und enger zu machen, damit es ihrer Gestalt in etwa gerecht wurde. Als Daniel sich mit seinen Gästen im Kielwasser näherte, setzte sie sich gerade, griff nach einem Elfenbeinknopf und zog daran. Aus dem Getriebe drang ein Seufzer, und sogleich lösten sich alle festklemmenden Tasten.
    »Euer Gnaden«, sagte Daniel, an Eliza gewandt, »ich darf Euch Miss Hannah Spates vorstellen. Miss Spates, das ist die Lady, von der ich Euch erzählt habe.«
    Hannah Spates stand auf und machte den Versuch eines Knickses.
    »Es freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen«, sagte Eliza, die sogleich ein aufrichtiges, aber distanziertes Wohlwollen an den Tag legte, wie man es bei vornehmen Philanthropen, die gezwungen sind, Hospitäler, Waisenanstalten, Armenhäuser etc. zu besuchen, häufig sieht. »Sagt, was ist das für ein Instrument? Werdet Ihr uns mit einer Darbietung erfreuen?«
    Mit den Wörtern »Instrument« und »Darbietung« wusste Hannah nichts anzufangen, enträtselte die Frage binnen kurzem jedoch auch ohne Daniels Hilfe. »Das ist die Kartenlochmaschine, Euer Gnaden«, antwortete sie, »sie stanzt die Löcher aus, wie ich Euch gleich zeigen werde.«
    »Zuerst wollen wir die Bücher ausgleichen«, verkündete Daniel und ging seinen Gästen voran in eine hintere Ecke des Raums, wo man so etwas Ähnliches wie eine banca eingerichtet hatte. Dort stand ein großer Schreibtisch, bemannt mit einem Schreiber. Hinter diesem stand ein Gentleman von etwa fünfzig Jahren, der nun vortrat, um sich vorstellen zu lassen. »Mr. William Ham«, machte Daniel ihn bekannt, »mein Neffe und der Geld-Goldschmied, der sich um unsere Angelegenheiten in der Stadt kümmert.«
    Artigkeiten wurden gewechselt; Eliza bemerkte, sie habe schon von Mr. Ham gehört, und zwar von Freunden, denen es ein Vergnügen gewesen sei, mit ihm Geschäfte zu machen, und William Ham ließ wissen, dass er sich davon geehrt fühlte. Es schien ihn zu verblüffen und zu freuen, dass man ihn erkannte, da er ein ruhiger, gutgekleideter, aber unauffälliger Mensch war, der typische Vertreter des neuen Menschenschlages, der das banca- Gewerbe von der Menagerie verrückter Abenteurer, berauschter Feiglinge und pathologischer Lügner übernommen hatte, die es ins Leben gerufen hatten, als Daniel ein junger Mann gewesen war.
    Zum Geschäft: Daniel übergab den kleinen Kasten mit Goldkarten William Ham, der ihn zu einem Stehpult am Fenster trug und die Karten wog. Er rief dem Schreiber Zahlen zu; dieser wiederholte sie und schrieb sie in ein Buch. Die Karten wurden sodann in eine Kassette gelegt, die neben der banca auf den Bodendielen stand. Das heißt alle bis auf eine, die einem dritten Mann übergeben wurde: einem Schürze tragenden Aufseher, der aus dem gleichen Holz geschnitzt war wie diejenigen in der Hanfhämmerwerkstatt, nur dass er keinen Rohrstock führte. Mit der Sorgfalt und dem Pomp eines Priesters, der eine geweihte Hostie durch den Altarraum trägt, brachte er die Karte zu dem

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