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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Holzwänden der Verschläge zugestrebt, in denen man die weiblichen und männlichen Häftlinge einschließt. Sie langten über die Barrieren, um Börsen mit Münzen, Brotlaibe, Äpfel etc. an ihre Freunde, Kinder, Frauen und Männer weiterzureichen, welche diese Gaben mit in Eisen liegenden, schorfigen Händen entgegennahmen. Natürlich trieben die Büttel sämtliche Häftlinge in Richtung Janus Gate. Sie unternahmen nichts, um die eben geschilderten Transaktionen zu unterbinden, denn sie wussten wohl, dass der größte Teil des Geldes, das in jenen schäbigen kleinen Börsen übergeben wurde, in Kürze in ihren Taschen landen würde. Natürlich waren materielle Güter nicht alles, was über diese Barrikade gelangte; da waren auch noch Küsse, Händedrücke, Tränen, Klagen und Versicherungen ewiger Liebe, besonders im Falle derjenigen, die gerade ihre Fahrscheine nach Tyburn erhalten hatten. Doch von diesen will ich schweigen, unter dem Vorwand, dass sie nicht zur Sache gehören. In Wahrheit ist das alles so mitleiderregend, dass mir die Worte fehlen.
    Am äußersten Nordende des Hofes, um die Säulen des Janus Gate herum, standen mehrere Männer, die weder weinten noch klagten noch Börsen mit Münzen darboten. Sie standen nur da, mit dem Rücken zum Tor dem Fluss der Gefangenen zugewandt, und beobachteten. Ihr Anblick war verwunderlich. Von fern hätte man sie aufgrund ihrer Haltung als bloße Müßiggänger abtun können. Doch im Näherkommen – ich folgte Mr. Kikin – bemerkte ich, dass diese Männer einen sonderbaren Gesichtsausdruck zur Schau trugen: Jeder war so aufmerksam wie eine Katze in dem Augenblick, bevor sie sich auf einen nichts ahnenden Vogel stürzt. Diese Männer gingen nicht müßig, sondern sie arbeiteten und übten ihren Beruf mit ebensolcher Konzentration aus wie der verstorbene Mr. Hooke, wenn er durch sein Mikroskop auf einen Schwarm von Aufgusstierchen spähte. Einige der Häftlinge, die das Janus Gate durchschritten, merkten gar nichts; ihre Gesichter wurden gemustert und dem Gedächtnis überantwortet. Andere, in den Gepflogenheiten der Unterwelt Erfahrenere, erkannten diese Umherstehenden als Diebesfänger und verbargen das Gesicht hinter dem Ärmel oder gingen sogar rückwärts, bis sie sicher durch das Tor gelangt waren. Einige der Diebesfänger ließen sich zu kindischen, aber wirksamen Kniffen herab, indem sie etwa Namen riefen: »John! Bob! Tom!«, worauf sich ihnen bestimmte Gefangene zuwandten, sodass sich ihre Gesichter umso besser inspizieren und ihre Muttermale, Narben, fehlenden Zähne etc. umso besser dem Gedächtnis einprägen ließen.
    Die einzigen Gefangenen, an denen die Diebesfänger keinerlei Interesse haben, sind diejenigen, die soeben zum Galgen verurteilt worden sind. Die anderen haben eine gute Chance, lebendig aus Newgate herauszukommen und in ihr früheres Leben und an ihren früheren Wohnort zurückzukehren. Sobald sich ein Diebesfänger das Gesicht eines solchen Mannes eingeprägt hat, kann dieser jederzeit leicht wieder verhaftet und verurteilt werden. Ob er tatsächlich ein Verbrechen begangen hat, tut kaum etwas zur Sache; das Gericht will einen Schuldigen, und der Diebesfänger will seine Belohnung.
    Sean Partry stach unter den Diebesfängern durch sein Alter (ich würde ihn auf Mitte fünfzig schätzen) und durch eine Haltung hervor – ich bin versucht, sie Würde zu nennen -, die den anderen fehlte. Er hat einen dichten, nur oben ein wenig schütteren Schopf blonder, ergrauender Haare und meeresgrüne Augen. In seinem Mund sitzt ein vorzüglich geschnitztes Gebiss, das er jedoch nur selten zur Schau stellt. Er ist von schlanker Gestalt – ungewöhnlich bei einem Beruf, der weitgehend darin besteht, in Schänken herumzulungern -, doch jede Illusion, er sei in guter Verfassung, zerrinnt sogleich, wenn er sich zu bewegen beginnt, denn er hinkt und humpelt ein wenig, ist steif in den Gliedern und neigt zu häufigem Seufzen und Grimassieren, was auf innere Schmerzen hindeutet.
    Partry wollte uns um keinen Preis in die Augen sehen oder überhaupt Beachtung schenken, bis der letzte Häftling durch das Tor gescheucht worden war. Dann begann er uns recht barsch zu befragen – wollte wissen, wer wir seien, wen wir verträten und warum wir so viel über Jack den Falschmünzer wissen wollten. Er gab sich gleichgültig, fast feindselig, bis wir auf seine Fragen überzeugende Antworten gaben. Dann erst zeigte er sich zugänglicher und erklärte sich sogar bereit,

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