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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Frankreichs bereiste, überholten wir von Zeit zu Zeit einen Messerschleifer, der seine Ausrüstung vor sich her schob und dabei vor Anstrengung schwitzte, denn wegen des massiven runden Schleifsteins war sie sehr schwer. Mein Vater – Gott lasse ihn in Frieden ruhen – war ein Händler. Ein Kaufmann. Alles, was er brauchte, um sein Geschäft zu betreiben, hatte er im Kopf oder in seiner Börse. Das hielten Calvin und ich für normal. Wie seltsam war es deshalb, diese Messerschleifer zu sehen, die ihr Brot nicht ohne einen großen, schweren Stein verdienen konnten! Eines Tages hörte mein Vater, wie ich und Calvin spöttische Kommentare abgaben, nachdem wir an einem dieser armen, hart arbeitenden Männer vorbeigekommen waren. Er tadelte uns wegen unserer Überheblichkeit und erteilte uns folgende Lektion: Das Schleifrad werde angeschubst und durch gelegentliche Schläge von der flachen Hand des Schleifers in Bewegung gehalten. Fehlte es ihm an Gewicht, würde es so schnell auslaufen, dass es nutzlos wäre. Doch aufgrund seiner enormen Masse drehe es sich, einmal angestoßen, mit größter Wucht. Der Stein agiere, sagte mein Vater, als eine Art banca , die die von dem Schleifer mit seinen sporadischen Schlägen aufgewandte Arbeit einlagere und stetig wieder abgebe. Diese Fähigkeit sei von so wesentlicher Bedeutung für das Handwerk des Messerschleifers, dass er diesen schweren Stein mit Freuden tagtäglich hügelauf, hügelab schiebe, wie einst Sisyphus.
    Als Jack Shaftoe nach London kam, hatte er etwas Geld in der Tasche, das der König von Frankreich ihm gegeben hatte, um gewisse Pläne und Intrigen zu finanzieren, die Jack hier vorbereiten sollte. Außerdem hatte man ihm das Versprechen gegeben, von Zeit zu Zeit, falls Le Roi mit seiner Arbeit zufrieden wäre, noch mehr Geld zu schicken. Das Gold in seiner Tasche war gewissermaßen der erste kräftige Schubs, der das Schleifrad in Bewegung setzt, und die für später in Aussicht gestellten Summen waren die Schläge, die verhindern, dass es an Geschwindigkeit verliert. Doch Jack war so schlau zu erkennen, dass er eine banca brauchte, ein Lagerhaus für Reichtum und Macht in London, damit seine Vorhaben auch dann glatt und gleichmäßig liefen, wenn die Geldmittel nur stockend und unregelmäßig flossen. Auf bestehende bancas konnte er nicht zurückgreifen und musste deshalb selbst eine schaffen, die auf seine Pläne zugeschnitten war. Als er Bekanntschaft mit einem gewissen Mr. Knockmealdown schloss – einem damals in bescheidenem Maße erfolgreichen Hehler, der eine Schleuse in Limehouse betrieb und von Schlammlerchen auf Schiffen geraubte Ware aufkaufte -, machte er ihm folgenden Vorschlag: Er, Jack Shaftoe, würde sein ›französisches Gold und englisches Köpfchen‹ benutzen, um Mr. Knockmealdown zu einem Krösus unter den Hehlern zu machen, indem er seine Besitztümer gewaltig ausdehnte und seinen Lagerbestand aufbaute. Mr. Knockmealdown würde ein reicher Mann und seine Irish East London Company, wie sie schelmisch genannt wurde, für Jack der Schleifstein werden, der das Ergebnis seiner Anstrengungen lagerte.
    In den ersten paar Jahren, die auf seine Rückkehr nach London folgten, widmete Jack sich kaum etwas anderem. Und die Klugheit seines Vorgehens sollte sich schon bald zeigen, als der Spanische Erbfolgekrieg nach den ganzen Schlägen, die Le Rois Armeen von Marlborough und Prinz Eugen versetzt wurden, für Frankreich allmählich einen schlechten Verlauf nahm. Ihr könnt sicher sein, dass Louis Jack in diesen grausigen Jahren nur sehr wenig Gold schickte. Jack wäre wieder in den Stand eines Vagabunden zurückgefallen und für Le Roi nutzlos geworden, wäre er nicht imstande gewesen, seinen Lebensunterhalt mit den Gewinnen der East London Company zu bestreiten. Unter diesen Umständen hatte Jack sogar Erfolg, während Louis im Niedergang begriffen war, und zu dem Zeitpunkt, als Marlborough die Franzosen bei Ramillies vernichtend schlug und sich anschickte, ins Herz Frankreichs vorzudringen (jedenfalls schien es so), hatte Jack Mr. Knockmealdown zu einem der mächtigsten Hehler in der Christenheit aufgebaut: eine Art Piratenkönig, der in der Lage war, so wie ein Hund eine Fliege verschluckt, den gesamten Inhalt eines gestohlenen Schiffes in seine Lagerhäuser aufzunehmen und auf derselben Tide dasselbe Schiff bis zum Rand mit Diebesbeute zu beladen. So wurde die East London Company das Fundament, auf dem Jack sein düsteres Gebäude errichten

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