Principia
sieht, ist eine Hand, blass und reglos, die einen verschnörkelten Schlüssel umfasst. Er zieht die Tür weiter auf, um Licht hereinfallen zu lassen, und sieht Isaac nun vollkommen unbewegt, Augen und Mund geöffnet, an die Wand seines schwarzen Kastens hingestreckt. Daniel braucht seinen Puls gar nicht zu fühlen, um sicher zu sein, dass das, was er hier vor sich hat, der Leichnam des vor kurzem dahingeschiedenen Sir Isaac Newton ist, gestorben im Alter von einundsiebzig an Newgate-Kerkerfieber.
Der Kelterhof, Newgate - Gefängnis
Zehn Minuten später sind sie unten im Kelterhof, unmittelbar am Phoenix Court. Er wird Hof genannt, ist aber in Wirklichkeit nichts anderes als eine befestigte Gasse. Hier ist eine kurze Karawane aufgezogen, die darauf wartet, sie alle nach Tyburn zu bringen: ein Wagen, der verschiedene Werkzeuge aus Mr. Ketchs Gewerbe enthält; ein geräumiger offener Karren, der schon mit leeren Särgen beladen ist, und als Nachhut eine Schleife. Der Karren ist für die meisten der Verurteilten, für Ketch und für den Geistlichen. Die Schleife, dieses schlittenartige Gestell, ist Shaftoe vorbehalten, denn die Tradition besagt, dass ein Verräter mit dem Gesicht nach hinten zum Ort seines Todes geschleift werden soll. Bloßes Hängen ist zu wenig für einen so niederträchtigen Menschen, und Räder sind zu angenehm.
In jedem neuen Stadium, in das die Verurteilten gelangen, wächst ihre Begleitung: Hier im Kelterhof müssen es jetzt vierzig Männer sein, zumeist Gefängniswärter mit Knüppeln, aber auch ein paar Wachtmeister. Jack entdeckt die ersten Donnerbüchsen. Eine Art Korridor entsteht, der sie geradewegs zu dem großen Karren leitet. Die anderen Gefangenen klettern hinauf und setzen sich auf Sargdeckel, die als Bänke dienen. Jack wird zu seiner radlosen Landbarke geführt, auf der es zwar ein Brett zum Sitzen, aber keinen Sarg gibt; am Ende des Tages wird nämlich ein Sarg ebenso wie jeder andere Behälter für ihn völlig nutzlos sein.
Mr. Ketch, der ausgesprochen ordentlich ist, öffnet eine der verschiedenen Truhen auf seinem Materialwagen und zieht mehrere Stücke Seil heraus. Jedes hat an einem Ende eine Schlinge. Alle bis auf eins wirft er in den großen Karren, dann geht er ans hintere Ende davon und spricht Jack an.
»Die hier ist schön, was?«, ruft er aus und hält dabei die Schlinge hoch.
»Wenn Ihr nicht eine schwarze Kapuze auf dem Kopf hättet, würdet Ihr vor Stolz glühen, Mr. Ketch. Aber ich weiß nicht, warum.«
»Dieses Seil hat mir ein Piratenkapitän geschenkt, den ich letztes Jahr gehängt habe.«
»Und der hat seinen eigenen Strick mitgebracht?«
»Genau. Ein Kabeltau hat er es genannt. Schaut Euch seine Dicke an.«
»Wollte er sichergehen, dass der Strick nicht reißt? Das kommt mir merkwürdig vor.«
»Nein, nein, ich zeig’s Euch!« Und Ketch geht um Shaftoe herum an dessen linke Seite und zieht ihm die Schlinge über den Kopf. Das Seil ist so dick und steif und der Knoten so fest, dass die Schlinge sich kaum um Shaftoes Kehle herum schließen kann. Aber der Knoten liegt unter seinem linken Ohr wie eine große knochige Faust. »Spürt nur mal diese Hebelkraft – jetzt werdet Ihr verstehen, was ich meine, Sir!«, sagt Ketch, während er ein-, zweimal am losen Ende des Seiles zieht. Jedes Mal hebelt der Knoten, der auf Shaftoes Schädelbasis einwirkt, dessen ganzen Kopf nach vorne und zu einer Seite. »Und seht nur, wie lang es ist!« Shaftoe dreht sich um und sieht, dass Ketch ungefähr sechs Fuß zurückgewichen ist, das Seil aber immer noch in der Hand hält. »Hiermit kann ich Euch einen Fall verschaffen, wie er nur wenigen Leuten gewährt wird, Mr. Shaftoe, sehr wenigen. Wenn Ihr am Ende dieses Stricks ankommt, werdet Ihr die Geschwindigkeit einer Kanonenkugel haben. Noch bevor ich Euch die Hoden abschneide und die Eingeweide herausschaufele, werdet Ihr im Himmel Eure erste Pfeife rauchen, und das Vierteilen wird Euch so wenig ausmachen wie Sargwürmer einem toten Bischof.«
»Ihr seid ein prachtvoller Kerl, Mr. Ketch, und Betty kann von Glück sagen, dass sie Euch hat.«
»Mr. Shaftoe«, sagt Jack Ketch etwas leiser, während er ganz nah an ihn herantritt und, ohne sich dessen bewusst zu sein, das lose Seilende ordentlich aufwickelt, »ich werde nicht noch einmal die Muße haben, mich mit Euch zu unterhalten, bis wir unter dem Galgen stehen. Wie Ihr seht, muss ich mich ja noch um andere Gefangene kümmern, und die Fahrt nach Tyburn wird sicher,
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