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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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äh...«
    »Fröhlich?«
    »Ich wollte ›ereignisreich‹ sagen, um nicht respektlos zu erscheinen. Ich werde auf dem Karren sein. Wir werden einander nicht hören können. Da Ihr nach hinten schaut, werden wir einander auch nicht sehen können. Selbst wenn wir uns unter dem Galgen gegenüberstehen, wird der Lärm so groß sein, dass wir kein Wort werden wechseln können, selbst wenn wir uns gegenseitig in die Ohren schreien. Deshalb sage ich Euch jetzt danke, Sir! Danke! Und Ihr sollt wissen, dass Ihr heute weniger Schmerz empfinden werdet als ein Mann, der sich in einem dunklen Raum den Kopf am Türrahmen stößt.«
    »Was den Schmerz angeht, verlange ich nicht mehr und nicht weniger als das, was ich verdiene«, sagt Shaftoe, »und mit derselben Entschlossenheit vertraue ich mich Euch an, Mr. Ketch.«
    »Und ich werde mich als dieses Vertrauens würdig erweisen, Sir! Lebt wohl!«, sagt Jack Ketch.
    Er kehrt Shaftoe den Rücken, als fürchte er, er könnte wieder weinen. Er richtet sich auf, ringt um Fassung, zieht seine Kapuze nach unten und steigt auf den Karren, wo ihn weitere Kundschaft erwartet.

Sternkammer
    Als Daniel das nächste Mal seine fünf Sinne wieder beisammen hat, verliest der Registraturbeamte des Königs gerade irgendein Dokument, und seinem heiseren Singsang ist anzumerken, dass er schon seit einer Weile liest. Daniel wirft einen Blick durch die Tür und sieht, wie der Registraturbeamte des Königs durch eine Halbmondbrille auf ein Pergament von großzügigen Ausmaßen mit einem ungleichmäßig geschnittenen Rand späht: eine der beiden gleichlautenden Hälften eines Vertragsdokuments. Das dürfte der Vertrag sein, den Isaac unterzeichnete, als er Meister der Münze wurde. Er gehört zu den Schätzen, die Daniel aus dem Gewölbekeller der Abtei geholt hat. Sein Text besagt, dass Isaac die alleinige persönliche Verantwortung für alles trägt, was man in wenigen Augenblicken in der Pyx finden wird. Als Isaac den Vertrag unterschrieb, mutete ihn das alles vermutlich wie ein Haufen trockenes juristisches Kauderwelsch an, doch nun, da die Worte durch die Sternkammer hindurch den wichtigsten Männern des Königreiches in den Ohren hallen, kommen sie Daniel so besorgniserregend und furchtbar vor, dass Isaac sich fast glücklich schätzen könnte, tot zu sein. Daniel bemerkt, dass er von mehreren dieser Männer neugierig beäugt wird, und so richtet er seinen Blick auf Isaacs totes Gesicht, lächelt, nickt und macht in gedämpftem Ton eine Bemerkung, als plauderte er mit dem Kranken.
    Nachdem die Verlesung des Vertrages mit der Anrufung Gottes und des Königs ein donnerndes Ende gefunden hat, blickt der Registraturbeamte des Königs auf und bittet um die drei Schlüssel der Pyx.
    Als Daniel den Schlüssel aus Isaacs Hand nimmt, bemerkt er, dass die Totenstarre noch nicht eingesetzt hat. Lange kann er noch nicht tot sein.
    Die Träger der anderen Pyxschlüssel haben ihr jeweiliges Schloss bereits abgenommen, als Daniel bei ihnen ankommt. Nur eins ist noch übrig: ein besonders schönes, das aussieht wie der Tempel des Salomon. Daniel schließt es auf und klappt den Kippbügel weg. Zwei Mitglieder der Bürgerkommission treten vor und heben den Deckel der Pyx. Ringsherum strecken sich knackend die Halswirbelsäulen der ganz Großen, die darin wetteifern, zu sehen, was sich in der Pyx befindet: ein Stapel kleiner Lederpäckchen mit Namen Sinthia, jedes mit Monat und Jahr beschriftet.
    »Wohlan«, sagt der Registraturbeamte des Königs, »mögen die Mitglieder der Kommission sich nun in die Sternkammer zurückziehen, um die Prüfung durchzuführen.«
    Während die Kommissionsmitglieder noch murmelnd und mit den Füßen scharrend dastehen, geht Daniel, den Schlüssel in der Hand, mit großen Schritten hinaus und steuert auf die Sänfte zu. Miss Barton hat davor Aufstellung bezogen, den Blick in den Raum gerichtet, als wollte sie Gönner – oder auch Missgönner – davon abhalten, in die Nähe ihres Onkels zu gelangen. Ihre Augen sind ein bisschen rot gerändert, aber als Daniel sich neben sie stellt und ihr beruhigend die Hand auf die Schulter legt, fühlt sie sich unter dem Ärmel ihres Kleides fest und stark an, und nach kurzer Zeit schüttelt sie ihn ab und dirigiert ihn mit einem kurzen Blick in die Ecke. Manch ein Londoner Lebemann hat davon geträumt, einen einladenden Blick von diesen reizenden Augäpfeln zu erhaschen, aber Daniel wird sich mit dem begnügen müssen, was er soeben bekommen hat:

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