Principia
ist«, bemerkt er, »habt Ihr keine Möglichkeit mehr, Euch umzuziehen.«
»Ihr seid aber ein ganz Schlauer, Jack Ketch!«, erwidert Shaftoe.
»Ich meine ja nur, dass Ihr – nach Ansicht mancher, die sich eingeweiht nennen – mittellos seid.«
»Ihr meint, ich hätte den Anzug geliehen ?! Pfui über all diese Klatschmäuler, Mr. Ketch, Ihr werdet doch nicht so dumm sein, ihnen Glauben zu schenken. Dieser Anzug ist mindestens genauso mein Eigentum wie diese hübsche Kapuze das Eure.«
Wieder Getöse. Ketch entschuldigt sich erneut und fesselt den Burschen, der unmittelbar vor Jack steht. Währenddessen schnieft er ein- oder zweimal kräftig, als bekäme ihm die Luft in dem Hohen Saal nicht. Doch von allen Menschen in London dürfte Ketch am wenigsten empfindlich auf Ansteckungsstoffe, Dämpfe und Feuchtigkeit in der Luft reagieren.
Als Ketch sich wieder umdreht, nimmt Shaftoe überrascht, ja sogar ein wenig erschrocken eine Träne wahr, die ihm unter dem Rand der Kapuze die Wange hinabrinnt. Ketch tritt näher an Shaftoe heran, so nah, dass der, wenn er den Hals reckt (denn Ketch ist einen Kopf größer als er) einzelne Löcher in Ketchs letztem noch verbliebenem Schneidezahn sehen kann. »Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was mir das bedeutet, Mr. Shaftoe.«
»Nein, das kann ich nicht, Mr. Ketch. Was bedeutet es Euch denn?«
»Ich stecke in Schulden, Mr. Shaftoe, tief in Schulden.«
»Was Ihr nicht sagt!«
»Betty – meine bessere Hälfte – kriegt jedes Jahr was Kleines. Und das seit acht Jahren.«
»Ihr habt acht kleine Ketchs? Wie bemerkenswert, dass ein Mann in Eurer Branche ein solcher Quell neuen Lebens ist.«
»Nach der letzten Hinrichtung hat einer meiner Gläubiger versucht, mich auf offener Straße festzunehmen! Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken.«
»Fürwahr! In aller Öffentlichkeit von jemandem behelligt und dann auch noch bezichtigt zu werden, man habe Schulden bei ihm, ist für einen Mann in einem so angesehenen Beruf ein schwere Demütigung!«
»Was würden meine Jungs von mir denken, wenn ich hier in Newgate landen würde?«
»Ihr seid hier in Newgate gelandet, Mr. Ketch. Aber unbesorgt, ich verstehe, was Ihr meint.«
»Sie müssten herkommen und bei mir leben. Hier.«
»Die beste Umgebung, um kleine Kinder aufzuziehen, ist das wirklich nicht«, räumt Shaftoe ein.
»Deswegen – entschuldigt mich -« Ketch tritt hinter Shaftoe, zieht ein Stück Schnur heraus und bindet es Letzterem um die Ellbogen. Er macht einen Rutschknoten und fängt an, ihn enger zu ziehen, womit er Shaftoes Ellbogen aufeinander zu bewegt – aber nur ein wenig.
»Es wäre schade, wenn der Hinrichtungsanzug knittern würde«, bemerkt Shaftoe.
»Äußerst schade, Mr. Shaftoe, aber Euer Wohlbefinden ist mir wichtiger.«
Bei dieser höflichen Ausflucht muss Shaftoe unwillkürlich lächeln. Und mit demselben Lächeln auf den Lippen tritt er vor, hebt ein Bein und setzt einen makellos gewienerten Schuh auf den Steinamboss. »Seht Euch bloß mit diesem Hammer vor, guter Mann«, sagt er zu dem Schmied – einem von den Pocken verwüsteten Gefangenen, der aussieht, als wäre er seit dem Großen Feuer in Newgate. »Mir bedeuten diese Kleider nichts, aber bald wird mein guter Freund hier, Mr. Ketch, sie erben . Er ist nämlich nicht nur mein Freund und einziger Erbe, sondern auch der Vollstrecker meines letzten Willens. Nach den uralten Traditionen dieses Königreichs gehen nämlich alle Kleidungsstücke, die ich am Körper trage, nebst dem Inhalt ihrer Taschen im Augenblick meines Ablebens in seinen Besitz über. In diesen Taschen befinden sich mehrere Münzen unterschiedlicher Bezeichnungen. Falls Ihr Eure Arbeit ordentlich verrichtet und meine Schuhe verschont, könnte Mr. Ketch beschließen, in eine meiner Taschen zu greifen und eine ziemlich große Münze als Trinkgeld für Euch herauszufischen; wenn Ihr sie aber verderbt, wird Mr. Ketch Euch, um seine Verluste wiedergutzumachen, nichts geben.«
Daraufhin braucht der Schmied zum Entfernen von Jacks Ketten länger, als er bei allen anderen Verurteilten zusammen gebraucht hat. Schließlich hat er sie gelöst und erhält aus Shaftoes Tasche und Ketchs Hand einen hübschen Shilling für seine Mühen.
Die Münzprobe
Keine zwei Münzproben fallen gleich aus. Die Einzelheiten variieren je nachdem, wer aufs Korn genommen wird und von wem. Früher wohnten der Bürgermeister und die Bürger von London der ganzen Zeremonie bei, was das Vernünftigste auf der
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