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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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dem Tisch aufgestapelt sind, in einer klirrenden goldenen Lawine in die Pyx gefegt. Aufmerksam beobachtet von dreiundzwanzig anderen Kommissionsmitgliedern – und jetzt auch von Daniel, der sich aus der Sänfte zurückgezogen und herüberbegeben hat, um zuzuschauen -, rührt einer der Bürger die Guineen mit der Hand durch, um sie gründlich zu vermischen. Nachdem er das lange genug getan hat, wendet er den Blick ab, zeigt allen im Raum eine leere Hand, steckt sie mitten in die Pyx und holt eine einzige Guinee heraus, die er vor den Wäger auf den Tisch legt.
    Jeder der anderen elf Männer aus der Stadt tut es ihm gleich. Dann liegen ein Dutzend zufällig ausgewählte Guineen in einer Reihe auf dem Tisch vor Mr. Threader.

St. Sepulchre
    Ihr guten Leute, betet mit Inbrunst zu Gott für diese armen Sünder, die jetzt ihrem Tod entgegengehen, für die
diese große Glocke läutet. Ihr, die ihr zum Sterben veurteilt
seid, vergießt bittere Tränen der Reue; bittet den
Herrn um Gnade, auf dass er eure Seelen rette durch das
Leben, Leiden und Sterben Jesu Christi, der da sitzet zur
Rechten Gottes, um für diejenigen von euch Fürsprache
einzulegen, die reumütig zu Ihm zurückkehren. Der
Herr erbarme sich eurer! Christus erbarme sich eurer!
    Der Ausrufer von St. Sepulchre
     
     
     
    Als sie ihn aus dem Kelterhof hinaus schleifen, stellt er verwundert fest, dass sie das Fallgatter heruntergelassen haben, das nun die Newgate Street intra muros von der Holborn extra trennt. Auf der anderen Seite davon kann er den kochenden Pöbel hören, aber nicht sehen, da diesseits des mächtigen Gitters ein Schwadron berittener Soldaten aufgezogen ist und sich formiert, als stünde ein Ausfall bevor.
    Kurz darauf dreht sich seine dem Brauch entsprechende Schleife auf der Straße um, sodass sein Blick heckwärts gerichtet ist, das heißt die Newgate Street entlang mitten ins Herz der guten alten London Town. Das sollte ihm eine mehr oder weniger direkte Sicht die Newgate und Cheapside hinunter bis zur meilenweit entfernten Börse gewähren, doch stattdessen sieht er nur noch mehr Soldaten. Weitere Schwadronen strömen aus dem Phoenix Court rechts und dem Gelände des Christ’s Hospital links von ihm und formieren sich auf dem breiten Teil der Straße hinter ihm. Das ist ungewöhnlich.
    Die Luft fühlt sich schwer an und drückt merkwürdig auf seinen Schädel. Wegen der lärmenden Menschenmenge ist der Grund dafür zunächst nicht so recht auszumachen, doch dann besinnt er sich, dass in London jede Glocke gedämpft läutet, um die Hinrichtungsprozession anzukündigen.
    Der erste Teil der drei Meilen langen Prozession umfasst etwas weniger als hundert Ellen, die Entfernung von dem Fallgatter von Newgate zum Friedhof von St. Sepulchre. Dafür brauchen sie nur etwa zwanzig Minuten, was Jack zu der Vorstellung veranlasst, dass es gar nicht so schlimm wird, wie der Volksmythos einen glauben machen will. In seiner Erinnerung ist das alles viel gewaltiger und roher. Allerdings hat er es vor der Pest zum letzten Mal mitbekommen, und durch Kinderaugen betrachtet erschien ihm alles größer.
    Immerhin hat er viel Zeit, sich von der Schnur zu befreien, mit der Jack Ketch ihn an den Ellbogen gefesselt hat. Ohnehin nicht ganz stramm gezogen, lässt sie sich leicht an den groben Brettern der Schleife abstreifen. Er ist schon im Begriff, sie in die Menge zu werfen, als sein Blick darauf fällt und er findet, dass sie noch anderen Zwecken dienen könnte. Jack – der viel Zeit auf Schiffen verbracht hat und sich mit Seemannsknoten auskennt – hat, noch bevor die Menge »Jack Shaftoe!« schreien kann, ein Ende der Schnur zu einem Palstek geknüpft, den er über die Spitze seines Schuhs gleiten lässt. An der Ferse bleibt er stecken und bildet eine Art Steigbügel. Mit ein paar unschicklichen Bewegungen gelingt es Jack, das lose Ende der Schnur unter seiner Hose am Bein entlang aufwärts zu fädeln. Dann greift er sich vorne unter das Hemd und zieht die Schnur weiter nach oben, bis sie in Höhe der Kehle aus dem Kragen herausschaut. Hier kommt nun erneut seine Seemannskunst ins Spiel, als er die Schnur ein paar Mal um die Schlinge windet und dann festbindet.
    Obwohl er nicht nach vorne schauen kann, weiß er, dass sie sich vor St. Sepulchre befinden, denn die gedämpfte Glocke ist jetzt sehr laut und wird durch einen vertrauten, aber unwillkommenen Klang verstärkt. Der Ausrufer hat noch einmal seinen Singsang von sich gegeben. Unterstützt wird er

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