Pringle in Trouble
an
Höflichkeitsfloskeln ist für heute erschöpft.»
Hugh war in übermütiger Stimmung.
Hatten sie vielleicht irgendein psychedelisches Wunderkraut unter die gehackte
Minze gemischt? Die ‹blaue Stunde› in der Bibliothek zog sich endlos hin. Alle
gaben sich heiter, selbst Jonathan P. Powers. Der unangenehme Zwischenfall von
vorhin schien vergessen. Er und van Tenke standen wie gute Freunde beieinander
und tauschten lautstark Witze aus. Vielleicht lag es an Jonathans Beruf, dem
täglichen Umgang mit flüchtigen Bildern, daß es ihm möglich war, innerhalb
weniger Minuten einem Mann erst Mordabsichten zu unterstellen und sich gleich
darauf, als sei nichts gewesen, freundschaftlich mit ihm zu unterhalten. Sein
Verhalten vorhin war nichts weniger als beleidigend gewesen, aber van Tenke
schien es nicht krumm zu nehmen. Hugh trank noch etwas Punsch. Sein Glas wollte
sich, wie von unsichtbarer Hand gefüllt, überhaupt nicht leeren. Vielleicht war
es auch gar kein Punsch, sondern irgendein Zaubergebräu? Jedenfalls war es das
erste Mal seit vielen Jahren, daß er zwar Magenknurren verspürte, aber
keinerlei Schmerz.
Es war ihm inzwischen gelungen, mit
einiger Anstrengung alle Gäste, die ihm im Solarium vorgestellt worden waren,
wieder zu identifizieren. Die Kultivierte in Grün glich einer verblichenen
englischen Rose, die schon dem ersten Herbststurm hat standhalten müssen. Ihr
Haar war strohig blond, ihre Haut fleckig. Heftig errötend, hatte sie ihm scheu
gestanden, daß sie Witwe sei. Hugh versuchte, sich möglichst von ihr
fernzuhalten.
Miss Brown dagegen hatte ihm kühn
erklärt, sie sei zu allem bereit, und ob er nicht vor dem Frühstück mit ihr
laufen wolle. Hugh hatte abgelehnt — «auf Anraten des Arztes» —, und sie hatte
ihn aus großen, mitleidsvollen Augen angestarrt. «Vielleicht ist es wirklich
besser, Sie lassen es», hatte sie ernsthaft erklärt, «Sie sehen ziemlich
mitgenommen aus.» Hugh hatte sich geärgert. Mitgenommen! Das war doch wohl
etwas übertrieben. Eine Woche Ruhe, und er würde wieder fit sein.
Das Mädchen, dessen Freund vorhin
beinahe aus dem Fenster gefallen war, unterhielt sich mit der alten Dame, die
er im Wartezimmer von Dr. Willoughby getroffen hatte. Bei näherer Betrachtung
gefiel ihm Clarissa noch besser als bei ihrer ersten, flüchtigen Begegnung.
Feingliedrig. Zarte Haut. Wie alt mochte sie sein? So um die Dreißig
vermutlich. Aber jetzt Schluß mit den Spekulationen, ermahnte er sich. Sein
Leben war schon kompliziert genug. Er würde sich während der Woche hier
ausschließlich mit seiner Diät und seinen Übungen beschäftigen und mit sonst
gar nichts. — Trotzdem wie war sie bloß an diesen Fernsehfatzke geraten?
Jonathan und van Tenke brachen gerade
erneut in unbändiges Gelächter aus. Die anderen Gäste blickten neugierig zu
ihnen hinüber. Jonathan wandte sich mit einer weitausholenden Geste an
Clarissa: «Liebling, erinnere mich daran, daß ich dir nachher den Witz von der
Schnecke mit den Stielaugen erzähle — aber erst, wenn Mutter im Bett ist,
hahaha», wieder brach er in wildes Gelächter aus. «Eins muß man Ihnen wirklich
lassen, Valter», wandte er sich erneut van Tenke zu, «Ihre Witze sind eins a.»
Mrs. Rees’ Gesicht glich einer Maske. Hugh sah, daß sich ihre Lippen bewegten.
«Untalentiert... ohne j eden Anspruch...» Sie wiederholte die Worte des Daily
Telegraph, als seien sie ein Mantra. Von Jonathan unbemerkt, warf van Tenke
Clarissa einen lüsternen Blick zu. Hugh verspürte einen Anflug von Eifersucht.
Doch dann sah er, wie Clarissa angesichts dieses Blickes zu schaudern schien.
Merkwürdig, was mochte das zu bedeuten haben?
Was diesen van Tenke anging, so wußte
Hugh ihn nicht recht einzuordnen. Seine Größe ließ ihn alle anderen überragen,
sein meckerndes Lachen und seine feucht-glänzende Unterlippe flößten ihm
diffuses Unbehagen ein. Aber wieso? Lag es daran, daß er wußte, welche
überraschende Kraft sich hinter dem geschmeidigen, katzenglatten Äußeren verbarg?
Vielleicht war der Bursche nichts als ein guttrainierter Sportler? Er hatte
helle weiße Haut, fast wie ein Albino, aber bei ihm war es eine gesunde Blässe.
Hugh verspürte so etwas wie Empörung. Er selbst war hier, weil er erschöpft war
und offenbar ja auch so aussah (erschöpft, nicht mitgenommen!), und auch
Jonathan sah man an, daß er Erholung brauchte. Was hatte dann also dieses vor
Gesundheit strotzende Kraftpaket hier verloren? Dann fiel es ihm
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