Pringle in Trouble
braunen,
merkwürdig riechenden Suppe serviert. Seine Kenntnis vegetarischen Essens
erstreckte sich nur auf Käsebrote, und so hatte er sie lieber stehen lassen.
«Alles in Ordnung, Wilf?» fragte
Millicent unvermittelt.
Mr. Pringle warf einen Blick auf den
Masseur. Im grellen Licht der Deckenlampen sah er blaß aus wie eine Leiche.
«Fühlen Sie sich nicht wohl?»
«Er macht sich Sorgen wegen seiner
Mutter», erklärte Millicent. «Wir dürfen doch zur Zeit das Schloß nicht
verlassen, aber seine Mutter braucht ihn. Sie hat ihre feste Gewohnheit, nicht
wahr, Wilf?»
«Sie weiß, wann ich immer komme»,
bestätigte Wilfred schwerfällig.»
«Genau das meine ich ja. Und deswegen
ist es passiert. Sie ist ja schon sechsundachtzig», fuhr Millicent fort, als
sei damit alles klar.
«Man sollte sie, wenn sie schon so alt
sind, nicht noch unnötig leiden lassen, finde ich.»
Falls sie erwartete, daß Mr. Pringle
ihr zustimmen würde, so wurde sie enttäuscht. Genau diese Geisteshaltung war es
gewesen, die dazu geführt hatte, daß er seine erste Mordermittlung übernahm.
«Und was ist passiert?» fragte er höflich.
«Die Polizei hat jemand
vorbeigeschickt, weil ich ja nicht konnte.»
«Aber es war schon zu spät. Sie hat ja
ihre feste Gewohnheit...» platzte Millicent dazwischen. «Und deshalb ist Wilf
jetzt auch so durcheinander.»
Der Masseur hob unbehaglich die
Schultern. «Sie kann nicht mehr allein aufstehen, um auf die Toilette zu
gehen», sagte er. «Sie ist abhängig von meiner Hilfe. Ich tue es gern, es macht
mir nichts aus. Als ich heute nicht konnte, hat ihr keiner Bescheid gesagt. Die
Polizei hätte ja bei den Nachbarn anrufen können. Als sie dann jemand
hingeschickt haben, war es viel zu spät. Sie hat den ganzen Tag über in ihrem
eigenen Kot liegen müssen.»
«Und jetzt haben sie sie ins Pflegeheim
gebracht», fügte Millicent mißbilligend hinzu.
Sie schwiegen. Wilfred blickte trostlos
ins Leere und massierte sich abwesend die Finger, jedes Gelenk einzeln
lockernd. Sein weißes Unterhemd und die weiße Hose waren fleckenlos sauber,
genau wie der Masseurkittel, der hinter ihm auf der Stuhllehne hing. Machte
sich der Mann nie irgendwo schmutzig, dachte Mr. Pringle. Sogar seine Haut war
von einer Klarheit, daß die schwarzen Haare auf den Armen beinahe wie ein Makel
erschienen. Plötzlich legte Wilfred den Kopf auf den Tisch und begann zu weinen.
Jessie streckte die Hand aus und wollte ihm ungeschickt über die Haare
streichen, doch sofort zog er den Kopf zurück, als könne er es nicht ertragen,
berührt zu werden. «Ich habe ihr versprochen, immer für sie zu sorgen. Sie hat
ihr Leben lang davor Angst gehabt, einmal in ein Altenheim zu kommen.»
«Weiß Madam schon davon?» erkundigte
sich Millicent.
«Nein. Ich hatte noch keine
Gelegenheit, es ihr zu sagen.»
«Sie wird dir schon sagen, was du tun
sollst.»
Wie auf das Stichwort kam Consuela
genau in diesem Moment in die Küche zurück. Als erstes knipste sie weitere
Lampen an. Mr. Pringle spürte, wie sich die aufgestaute Spannung, kaum war sie
eingetreten, zu verflüchtigen begann. Alle Augen waren vertrauensvoll auf sie
gerichtet, während Wilfred, auf Millicents Geheiß hin, von seiner Mutter
erzählte. Mr. Pringle war gespannt, was sie sagen würde. Wie er erwartet hatte,
war keiner ihrer Vorschläge besonders bemerkenswert, und mit etwas Nachdenken
hätte Wilfred selbst darauf kommen können. Nun jedoch, da sie es vorgeschlagen
hatte, war es plötzlich eine großartige Idee und die einzig richtige Lösung.
Mr. Pringle war die Sehnsucht, jemanden zu idealisieren und sich seinem Willen
unterzuordnen, persönlich fremd, um so deutlicher erkannte er sie, wenn er sie
bei anderen sah. Consuela war, daran bestand kein Zweifel, für ihre
Angestellten so etwas wie ein Leitstern; und dafür liebten sie sie. Und außer
ihrer Liebe — was gaben sie ihr sonst noch zurück? Ihre Loyalität? Ja, dachte
er ihre uneingeschränkte Loyalität. Diese Leute hier wären, wenn es sein müßte,
wahrscheinlich sogar bereit, für die Willoughbys ihr Leben hinzugeben.
Für Mr. Pringle war dies ein
verstörender Gedanke. Die meisten von ihnen mußten doch außerhalb ihrer
dienstlichen Verpflichtungen noch ein Privatleben haben, eine eigene Familie.
Über Wilfreds Verhältnisse wußte er jetzt Bescheid, aber wie stand es mit den
anderen? Die einzige mit so etwas wie einem eigenen Willen schien Mrs. Burg zu
sein. Er sammelte seine Fragebogen ein. Consuela
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