Pringle in Trouble
der Hand, eilte er
den Korridor hinunter.
In einem der hinteren Räume im
Erdgeschoß saßen eine Reihe von noch zurückgebliebenen Polizisten und stärkten
sich an Fisch und Chips. Der vertraute Geruch ließ Mr. Pringle das Wasser im
Munde zusammenlaufen. Und außerdem scheuerten die Sockenhalter heute wieder
besonders schlimm an seinen Krampfadern, aber entschlossen schritt er fürbaß;
der Gedanke an den Auktionskatalog in seiner Aktentasche trieb ihn vorwärts.
Wenn er es schaffte bis Freitag ein Ermittlungsergebnis vorzuweisen, dann hatte
er ein Anrecht auf die von Mr. Willoughby für diesen Fall zugesagte
Erfolgsprämie, und das hieß, daß der Erwerb von Nr. 189 in greifbare Nähe
rückte. Es war ein ziemlich kleines Gemälde und zeigte in zart angedeuteten
Pinselstrichen eine Gruppe von Menschen — Männer und Frauen —, die sich in
irgendeinem nordenglischen Städtchen um einen Marktstand versammelt hatten. Der
Katalog vermerkte dazu kurz: «Aus der persönlichen Hinterlassenschaft des
Künstlers.» Mr. Pringle war schlicht und einfach verrückt nach dem Bild. Vor
seinem inneren Auge sah er es bereits gegenüber seinem Schreibtisch an der Wand
hängen. Mit einem tiefen Seufzer schloß er die Mahagonitür auf und betrat das
Zimmer von Mrs. Rees.
Das erste, was er erblickte, war eine
Cognacflasche und Gläser. Miss Pritchett war offenbar eine findige Person. Dann
bemerkte er die Decken und Kissen auf der Couch. Sehr vernünftig, fand er. Mrs.
Rees war ihm sehr verängstigt vorgekommen. Aber das war schließlich kein Wunder
— er hatte selbst Angst. Weder Instinkt noch Überlegung hatten ihm verraten,
von wem oder warum van Tenke getötet worden war. Die Grausamkeit der Tat ließ
ihn, jedesmal wenn er daran dachte, aufs neue erschauern; die offenbare
Irrationalität machte ihn unruhig. Wenn der Mörder ein Irrer war, der wahllos
mordete, konnte er jederzeit wieder zuschlagen. Reiß dich zusammen, ermahnte er
sich, deine Angst wurzelt allein in Nicht-Wissen. Er mußte versuchen, Fakten zu
sammeln, miteinander zu vergleichen, sie in einem neuen Licht zu sehen... Mrs.
Rees fiel ihm wieder ein. Ihre so offensichtliche Furcht war begründet in der ‘Kenntnis
irgendwelcher Tatsachen, dessen war er sich ziemlich sicher. Er mußte an die
Frage denken, die sie ihm gestellt hatte, kurz bevor er sich verabschiedete:
«Glauben Sie, es wird noch einen geben?»
«Noch einen Mord, meinen Sie?»
Sie hatte genickt und ihn aus müden
Augen angeblickt, ihr Gesicht wirkte auf einmal ganz eingefallen. «Ich weiß es
nicht», hatte er leise geantwortet, «es hängt davon ab, warum es...» beinahe
hätte er gesagt «notwendig war», doch gerade noch rechtzeitig hatte er sich
besonnen und hatte statt dessen geendet: «...warum van Tenke umgebracht worden
ist.»
Sie hatte eine Weile geschwiegen und
schließlich gesagt: «Ich nehme an, Sie werden Ihre Ermittlungen weiterführen,
Sie und die Polizei?»
Er hatte genickt. «Ja, so lange, bis
wir den Mörder gefaßt haben.»
«Mord! Mörder! Und wenn nun van Tenke
umgebracht worden ist, um der Gerechtigkeit zu dienen?» Entsetzt hatte Mr.
Pringle eingewandt, daß aber doch wohl jeder Mensch ein Recht darauf habe,
seine Lebensspanne nicht gewaltsam verkürzt zu sehen, doch dann hatte er
gesehen, wie tief sie aufgewühlt war, das Thema gewechselt und sie nach ihrem
Sohn gefragt. Und ganz allmählich, während sie ihm beschrieb, wie unaufrichtig
er sei und wie sehr sie ihn verachte, hatte sie sich wieder beruhigt. Was ihre
Abneigung gegen Jonathan betraf, so konnte Mr. Pringle sie übrigens gut
verstehen. Diese Fernsehtypen! Während seiner Zeit als Finanzbeamter hatte er
mit etlichen von ihnen zu tun gehabt. Ihre mehr der Phantasie als der Wahrheit
verpflichteten Einkommensteuererklärungen hatten ihm jedesmal die Haare zu
Berge stehen lassen; und während sie, heftig argumentierend, ihn von der
Richtigkeit ihrer Angaben zu überzeugen versucht hatten, war er, sich taub
stellend, unbeirrt daran gegangen, ihre lügnerischen Behauptungen zu
widerlegen. Wenn er jetzt daran zurückdachte, war er noch im nachhinein froh,
daß Jonathan P. Powers nicht zu seinem Bezirk gehört hatte — wenigstens der war
ihm erspart geblieben.
Clarissas Zimmer war steril und
ordentlich, alle ihre Sachen waren weggeräumt. Mr. Pringle hielt vergeblich
Ausschau nach irgendeinem persönlichen Gegenstand, aber da war nichts. Sie
hatte nur wenig Garderobe mit, offenbar reiste sie nicht gern mit
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