Prinz-Albrecht-Straße
Auto weiterflüchten? Selbst in seiner ausweglosen Lage brachte er es nicht fertig.
»Sehe ich wie ein Mörder aus?« fragte er die Fahrerin.
Sie zuckte zusammen. »Erklären Sie es der Polizei«, entgegnete sie dann zögernd.
Er faßte sie derb am Arm. »Hören Sie«, sagte er hart.
Er zwang sie, ihn anzusehen.
Sie erschrak vor seinen Augen, dann vor seinen Händen. Kein Mörder, dachte sie, und fürchtete Mord …
»Es geschieht Ihnen gar nichts. Es tut mir leid, aber wir müssen weg … Sie werden uns helfen.«
»Nein«, erwiderte sie schwach.
Der Druck auf ihrer Hand verstärkte sich, drückte wie eine Stahlfessel. Seine Augen wirkten noch kälter, härter. Von seinem Gesicht ging eine seltsame Faszination aus. Seine Männlichkeit war brutal. Etwas strich der jungen Frau den Rücken herab. Sie spürte, wie ihr Widerstand nachließ …
»Werden Sie mir helfen?« fragte Stahmer drohend.
Sie nickte und verachtete sich dafür. Kein Mörder, redete sie sich wieder zu. Ein Irrtum. So sieht kein Verbrecher aus. Bestimmt nicht …
Auf einmal prallte der Wagen auf die Sperre. Sechs, sieben Polizisten riegelten nach beiden Seiten die Straße ab. Es gab kein Vor, kein Zurück. Jedes Ausweichen unmöglich. Die Augen der jungen Frau wurden größer, die Fahrt des Wagens langsamer. Sie sah hilflos den Agenten an.
»Und jetzt?« fragte sie ohne eigenen Willen.
»Sie zeigen Ihre Papiere vor und behaupten, daß wir Bekannte aus Prag sind«, sagte Stahmer schnell. Das Spiel ist aus, dachte er, vorbei! Auf einer lächerlichen Straße. Recht so, man hat nicht erster Klasse zu reisen, wenn man gejagt wird.
Der Wagen stand. Der Motor brummte im Leerlauf. Die Dame im Persianermantel reichte Papiere und Paß hinaus. Sie war mit einem bekannten Industriellen aus Prag verheiratet. Der Polizist wurde höflicher.
Rede und Gegenrede prasselten schnell hin und her. Georg glotzte stumpfsinnig den Polizisten an. Er begriff erst jetzt die Falle. Stahmer überlegte, ob er freiwillig aussteigen sollte. Er sah die Frau so fest an, als ob er sie hypnotisieren könnte.
Da geschah das Unglaubliche.
Der Polizeibeamte hob die Hand, der Wagen konnte weiterrollen. Die junge Frau drehte sich noch einmal um, als ob sie Hilfe suchte. Der Polizist nickte ihr gutmütig zu. Sie gab Gas. Der Wagen rollte mit Zehn-Kilometer-Geschwindigkeit aus der Falle.
»Danke«, murmelte Stahmer benommen.
Sie schwieg noch drei Kilometer weit. Jetzt fiel ihr erst auf, wie unheimlich beherrscht der Mann sich bei der nachlässig geführten Kontrolle benommen hatte.
»Was wäre geschehen, wenn ich nun um Hilfe gerufen hätte?« fragte sie fast wider Willen.
»Nichts«, erwiderte Stahmer dumpf.
27
Die Ruhe der nächsten beiden Tage steigerte Iras Unruhe. Sie wagte es nicht, ihre kleine Berliner Wohnung zu verlassen. Wenn das Telefon klingelte, wenn jemand an die Tür klopfte, spürte sie die kalte Hand der Ungewißheit auf der Haut. Der Propagandakrieg in den Zeitungen war verstummt. Und Werner Stahmer blieb verschwunden. Auch seine Auftraggeber schienen ihn vergessen zu haben. Manchmal zweifelte die junge Frau, das Abenteuer an der Moldau erlebt zu haben. Aber dann sah sie den Paß, die Tschechenkronen, den gebrauchten Flugschein und erinnerte sich daran, daß sie in den Prager Fahndungslisten stand.
Dann kam die Angst wieder, unheimlich, würgend, schleichend, lähmend.
Ira hatte sich für heute abend mit Margot und ihren Freunden zu einem Künstlerfest verabredet. Aber der Mut, sich zu vergnügen, verließ sie. Margot ließ keine Absage zu. Berlin lachte und tanzte, trank und schunkelte. Saison. Der Karneval war ausgebrochen. Gala-Abende, Redouten und Künstlerbälle jagten sich. Alles lebte ein wenig in die Nacht hinein und weiter in den Tag. Selbst die Hoheitsträger der Bewegung zogen das Braunhemd aus und schlüpften in das Clownsgewand oder standen in dunklen Fräcken so hölzern herum, als ob sie den Abendanzug ebenfalls ansiert hätten.
Kurz vor einundzwanzig Uhr kam Margot. Sie erkannte Iras Unschlüssigkeit daran, daß die Freundin noch nicht umgezogen war.
»Hab' ich mir doch gedacht«, sagte sie vergnügt und machte die Schranktür auf. »Los, schnell! … Unsere Kavaliere sind schon ungeduldig.«
Hinter ihr kamen die anderen: Fritz, Jürgen, Georg. Er nickte Ira zu. Fortsetzung des Flirts mit anderen Mitteln. Schließlich kam Ira mit, ohne Nachdruck, ohne Überzeugung.
Die Nacht war lang und heiß. Kellner flitzten. Musiker gerieten
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