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Prinz-Albrecht-Straße

Prinz-Albrecht-Straße

Titel: Prinz-Albrecht-Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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in die Arme gelaufen.
    »Aber hören Sie«, entgegnete Ira matt.
    Mit Stahmer kehrte das Grauen in die kleine Wohnung zurück. Die junge Frau wirkte auf einmal blaß, erschöpft. Sie wich seinen Augen aus und wußte dabei, daß es zwecklos war. Sie ging bis in die äußerste Ecke ihres Wohnzimmers, aber die Fragen, die er jetzt stellte, würden sie überall finden. Ira wartete auf die Abrechnung. Werner Stahmer deutete auf seinen verletzten Arm. »Verdanke ich Ihnen«, sagte er knapp.
    Ira schüttelte kraftlos den Kopf.
    »Ja«, fuhr der unheimliche Gast fort. »Sie sind mir in den Rücken gefallen … Sie haben Formis gewarnt … Sie sind eine Verräterin.«
    Ira setzte sich, lehnte sich zurück, horchte seinen Worten nach. Sie wußte, was jetzt kommen mußte. Sie hatte die Szene in den letzten Tagen hundertmal erlebt, obwohl sie hoffte, daß Stahmer die deutsche Grenze nicht erreichen würde. Jetzt stand er vor ihr, groß, drohend, kalt. Aus, dachte die junge Frau wie im Fieber.
    Er ging auf sie zu, hob ihr Kinn derb mit der Hand. »Warum?« fragte er.
    »Ihr habt ihn … ermordet«, erwiderte sie zögernd.
    »Wir?« fragte der Agent, »nein: Sie … Wir hätten ihn lebend nach Deutschland geschafft …«
    »Und dann?« fragte Ira leise.
    Er zuckte die Schultern: »Geht mich nichts an … dafür bin ich nicht zuständig.«
    »Aber verantwortlich«, sagte Ira fest und anklagend. Sie spürte überrascht, daß er auf einmal ihrem Blick auswich.
    Stahmer ging hin und her. Es lag ihm nicht viel daran, sich an dem Mädchen zu rächen. Aber wie sollte er Heydrich die Panne erklären? Er hatte sich sofort nach seiner Rückkehr im Sicherheitshauptamt gemeldet und erleichtert erfahren, daß der Gruppenführer außerhalb Berlins eine Besichtigung vornahm. Erst nachmittags mußte er ihm gegenübertreten.
    »Mit wem haben Sie über die Sache gesprochen?« fragte Stahmer.
    »Mit niemandem«, versetzte Ira. »Sie hatten es mir ja verboten«, versuchte sie die Lüge zu kommentieren.
    Stahmer blieb vor einem gerahmten Photo stehen. Es zeigte zwei Mädchen am Badestrand. Blond die eine, dunkel die andere. Beide übermütig lächelnd, mit den langen Beinen wippend, zufrieden mit sich, dem Tag und der Welt. Ira und Margot …
    »Auch nicht mit ihr?« fragte Stahmer und deutete mit unbestimmtem Verdacht auf das zweite Mädchen.
    »Wer ist das?« fragte er weiter.
    »Meine Freundin.«
    »Also gut«, sagte er. »Ich weiß nicht, was mit Ihnen geschieht«, setzte er dann hinzu. »Sie dürfen heute die Wohnung nicht verlassen.« Er zuckte die Schultern. »Denken Sie daran, daß Sie sich alles selbst zuzuschreiben haben.«
    »Was werden Sie …«
    Stahmer wehrte die Frage mit der Hand ab. Er nickte Ira zu. Er hatte noch Zeit bis zur Begegnung mit Heydrich. Mindestens so lange noch hing das Schicksal der jungen Frau in der Luft …
    Nachdenklich ließ sich Stahmer durch die Flut der Passanten treiben. Politik interessierte ihn nicht. Nur ihre Aufträge führte er aus.
    Als junger Bursche hatten ihn in seiner fränkischen Heimatstadt die hübschen Mädchen der Nachbarschaft weit mehr beschäftigt als die Fahnenumzüge der Bewegung. Einmal fand er einen abgerissenen Hakenkreuzwimpel und hängte ihn an sein Fahrrad. Damit geriet er in eine Gruppe Jungsozialisten, die ihn verprügelten. Er wußte nicht, warum. Und es sollte lange dauern, bis er begriff, daß es um jeden Schlag schade blieb, der danebengegangen war.

30
    In der Prinz-Albrecht-Straße war der frühe Nachmittag schläfrig. Stahmer und Georg warteten im Vorzimmer Heydrichs mindestens zehn Zigaretten lang. Inzwischen lief Ira wie gehetzt in ihrer Wohnung hin und her. Einmal wollte sie Margot anrufen, aber sie unterließ es, um die Freundin nicht noch mehr in das Verhängnis hineinzuziehen.
    Heydrich kam gegen fünfzehn Uhr. Jeder kannte seine schnellen, hastigen Schritte. Er riß die Tür auf, sah Stahmer und Georg und lief an ihnen vorbei, als ob er sie nicht bemerkt hätte. Es war ein schlechtes Vorzeichen für sie.
    Als sie endlich vorgelassen wurden, stand der Gruppenführer hinter seinem Schreibtisch, fahlblond und bleich. Zwischen seinen schmalen Lippen zitterte ein tückisches Lächeln. Er erwiderte den zackigen Gruß mit einem knappen Kopfnicken.
    »Befehl ausgeführt«, meldete sein Agent.
    »Welchen?« unterbrach ihn Heydrich.
    »Fall Formis«, entgegnete Stahmer und hatte die Empfindung, daß in diesen zwei nüchternen Worten noch das Drama in Nacht und Schnee

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