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Prinz-Albrecht-Straße

Prinz-Albrecht-Straße

Titel: Prinz-Albrecht-Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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die Ölgötzen«, brummte er vergnügt, »los, weitermachen!«
    Sie setzten sich erleichtert. Ihr Weltbild stand Kopf.
    »Freßt nur schön!« fuhr der Mann mit den Stiefeln fort. »Ihr habt's geschafft … Sanatorium.« Er lachte breit und kurzatmig. »Kapiert ihr immer noch nicht?«
    »Nein, Herr Hauptscharführer«, erwiderte der Häftling Mersmann für alle.
    »Ihr seid ganz schön doof«, fuhr der gelernte Mörder fort, »das Ausland hetzt gegen den Führer … nun veranstalten wir eine Presseführung, und da wollen wir keine krummen Hunde sehen … ihr sollt so fett sein, daß die Welt endlich weiß, wie gut es euch geht.«
    Noch auf dem Gang war sein meckerndes Gelächter zu hören.
    »Glaubst du das?« fragte Rosenstein.
    »Ich weiß nicht«, erwiderte Hans Mersmann dem Freund. Die Hoffnung denkt rasch, besonders wenn sie satt ist.
    Das Sonderkommando blieb isoliert; sogar Zigaretten wurden zugeteilt, und dann gab es Schokolade. Die KZ-Welt wurde immer unbegreiflicher. Am Abend wollte Herbert Rosenstein den Kameraden im Hauptlager Brot und kaltes Fleisch über den Zaun reichen und wurde dabei gefaßt. Der Hund sprang ihn mit solcher Wucht an, daß er umfiel.
    Aus, dachte der Häftling.
    Da wurde das Tier zurückgerissen.
    »Steh auf, du Idiot!« brüllte ein Rottenführer.
    Das Fleisch fraß der Hund, die Brotkante stieß der SS-Mann mit der Stiefelspitze wie einen Fußball über den Zaun.
    »Laß dich nicht noch mal erwischen«, sagte der Uniformierte, sonst einer der übelsten Schläger im Lager, wenn es diese feinen Unterschiede überhaupt noch gab.
    So vergingen die Tage. Die hundert wurden gewogen. Manche hatten schon wieder etwas Farbe im Gesicht. Fast alle bekamen Durchfall. Bei einigen streikte der Schrumpfmagen völlig. Der Lagerarzt schüttelte den Kopf. Zurück ins Lager, hieß das. Sie gingen im gemächlichen Trott, den sie sich in den letzten Tagen angewöhnt hatten. Da endete das Wunder. Durch Stiefelabsatz. Pfiffe schrillten wieder, sie wurden empfangen von ausgemergelten Kameraden, vom Bock, vom Hunger, vom Galgen. Sie haderten mit ihrem Schicksal, mit ihrem kaputten Magen, und sie ahnten nicht, daß er ihnen das Leben gerettet hatte. Vorläufig wenigstens …
    Nach vierzehn Tagen kam das Fernschreiben. Hundert Mann traten die Reise ohne Wiederkehr an. In einem Eisenbahnwaggon. Die Verpflegung, die man ihnen mitgab, war noch immer üppig. Ihre Peiniger sahen ihnen ebenso gehässig wie befriedigt nach.
    »Und jetzt?« fragte Mersmann kleinlaut.
    »Das Ende«, erwiderte Rosenstein gepreßt.
    Sie saßen nebeneinander. Rosenstein hatte die Hände über die Knie gefaltet, als ob er beten würde.
    »Aber was können sie denn bloß …?« fragte sein Freund weiter.
    »Alles können die«, entgegnete Rosenstein leise, »oder hast du Zweifel?«
    »Mußt du immer mies machen?« fragte Mersmann aufgebracht.
    Der Freund schüttelte traurig den Kopf. Die Achsen ratterten. Der Zug fuhr mit sechzig Kilometer Geschwindigkeit dem Ziel entgegen. Richtung Oppeln. Der Zweite Weltkrieg hatte nach dem Plan des Satans Heydrich zu explodieren. Die ersten hundert Toten hatten vorher menschliche Zielscheiben zu sein. In Wehrmachtsuniform gesteckt, auf normalen Ernährungszustand gebracht, für die Wochenschau frisiert … reif für den Tod, der sie erlöste und den sie nicht haben wollten …

57
    Generalprobe in Gleiwitz. Es klappte wie immer. Die Männer kannten ihr Stichwort: ›Plan Himmler‹. Sie hatten jeden Abend im Hotel zu sitzen und auf den Anruf zu warten. Dann mußten sie sich auf verschiedenen Wegen dem Sender Gleiwitz nähern. Im Haus wartete Werner Stahmer auf sie. Punkt zweiundzwanzig Uhr zwei war der Pförtner zu überwältigen. Wer sich ihnen im Senderaum entgegenstellte, würde niedergeschossen. Der Ingenieur war lebend zu fassen. Für alle Fälle hatten die angeblichen Polen einen Notsender mit sich zu führen. Die Proklamation dauerte genau drei Minuten und vierundzwanzig Sekunden. Der Mann, der sie in polnischer Sprache vorlas, konnte sie auswendig. Etwa zwei Minuten nach dem Überfall sollte ein Angestellter des Senders an das Telefon herankommen und die Polizei alarmieren. Von da ab beherrschten Handgranaten und Maschinenpistolen die Situation. Es war darauf zu achten, daß kein Mann des Sonderkommandos Stahmer der Polizei lebend in die Hände fiel …
    »Verstanden?« fragte der Agent.
    Die Männer nickten. Sie kamen irgendwoher, so wie sie irgendwohin verschwanden. Dem Typ nach

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