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Prinz-Albrecht-Straße

Prinz-Albrecht-Straße

Titel: Prinz-Albrecht-Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Rowdies, mit stumpfsinnigen Gorillagesichtern, schwerfällig und brutal. Mit einer Intelligenz, die nur zu zählen brauchte: einundzwanzig, zweiundzwanzig … dann explodierte das Ding.
    In seinem Hotel in der Innenstadt fand die Zusammenkunft statt. Kein Mensch achtete auf die sieben. Stahmer gab seine letzten Anweisungen halblaut, im Gesprächston. Er mußte zehn Minuten vor den anderen in der Sendestation sein. Sybille Knapp würde ihn lächelnd erwarten. Der Flirt endete mit Tumult, der Tumult mit Mord. Heydrich befahl, Stahmer führte aus …
    Sarajewo aus der Westentasche. Wilder Westen im deutschen Osten. Und dann würde der Führer mit Polen abrechnen …
    »Wann sollen wir uns zurückziehen?« fragte einer der SD-Leute.
    »Wenn ich es befehle«, erwiderte Stahmer.
    »Und wenn Sie ausfallen?«
    »Quatsch!« entgegnete der Agent kalt. »Ihr merkt schon, wann ihr zu laufen habt.«
    Werner Stahmer ging mit dem Sprecher allein in sein Hotel. Er hörte einen Text in Zischlauten ab, von dem er fast kein einziges Wort verstand.
    »Polen!« hieß es. »Die Stunde der Erhebung ist gekommen. Oberschlesien gehört zu Polen … Überfallt eure deutschen Unterdrücker. Schlagt sie tot, wo ihr sie trefft … Die Engländer und Franzosen lassen euch nicht im Stich …«
    Stahmer sah auf die Uhr. »Sie sprechen zu rasch«, sagte er, »noch einmal.«
    Er ging auf die Tür seines Hotelzimmers zu und riß sie auf. Niemand war zu sehen. Der Gang war leer. Das Verbrechen arbeitete ohne Zeugen. Heydrich würde sie mit der gleichen Gründlichkeit vernichten, wie er den ›Plan Himmler‹ erstellt hatte. Keiner sollte entkommen. Nicht die Männer, die den Sender Gleiwitz überfielen, nicht die SS-Soldaten in polnischen Uniformen, nicht die KZ-Häftlinge im Wehrmachtstuch. Wissen ist tödlich. So einfach war die Weisheit des Satans …
    Diesmal dauerte die Proklamation vier volle Minuten.
    »Zu langsam«, sagte Stahmer knapp, »Mann … passen Sie besser auf … von diesen sechsunddreißig Sekunden, die Sie zu lange quasseln, hängt unser Leben ab.«
    Sie gingen auseinander, ohne sich die Hand zu geben.
    Mitten in der Nacht kam ein Anruf aus Oppeln. Gestapo-Chef Müller schickte einen Wagen. Er war stolz darauf, das beispiellose Verbrechen selbst kommandieren zu dürfen.
    »Na, Stahmer«, empfing er den Agenten, »wie steht's?«
    »Alles in Ordnung, Gruppenführer.«
    »Passen Sie auf, daß sich hinterher keiner Ihrer Leute selbständig macht«, sagte Müller, »keiner.«
    Stahmer nickte. Dabei überlegte er flüchtig. Wo ist der Schnitt? Von welcher Dienststellung ab darf man mitwissen? Ich bin die Nahtstelle, dachte er, bestenfalls.
    Gestapo-Müller rieb sich die Hände. »Haben Sie gut gemacht«, sagte er wohlwollend, »die Sache mit dem Mädchen.«
    Stahmer nickte.
    »Jetzt sehen Sie bloß zu, daß sie nicht gerade an diesem Abend dienstfrei hat.«
    »Wann startet die Aktion?« fragte Stahmer.
    »Morgen oder übermorgen schon«, raunte der Mann mit dem kahlen Hinterkopf wissend. »Ich habe ganz sichere Nachricht aus Berlin.«
    Stahmer straffte sich. Er sah in die leeren Augen des obersten Folterknechtes. Fast verwundert stellte er in diesem Moment fest, daß er sich nicht fürchtete. Mit einem Ruck schüttelte er die letzte Feigheit ab. »Gruppenführer«, begann er, »ich bitte um Ablösung.«
    »Was?« der Gestapo-Chef hielt die hohle Hand an das verwachsene Ohrläppchen.
    »Ich bitte darum, nach Berlin in Marsch gesetzt zu werden.«
    »Mann«, erwiderte Gestapo-Müller noch immer ruhig, »das ist ein Ding … Sie haben wohl nicht alle Tassen im Schrank?«
    »Doch, Gruppenführer.«
    »Und warum … wenn ich fragen darf?« bellte Müller.
    »Ich kann das nicht durchstehen … Ich bitte um Versetzung später an die Front oder sonstwohin«, erwiderte Werner Stahmer.
    »Sonstwohin?« Die Augen des Gestapo-Chefs wurden klein und tückisch. »Leiden Sie an Lebensüberdruß, Sie Selbstmörder? Besoffen, wie?« polterte Gestapo-Müller los. Er wuchtete kurzbeinig und schnell durch den Raum. »So eine Schweinerei! … Und Sie meinen, ohne Sie findet der Krieg nicht statt … Sie glauben, wir können auf Ihre Zimperlichkeit Rücksicht nehmen?«
    Langsam konterte der Gruppenführer seine Erregung nieder, ließ sich auf den Stuhl fallen und streckte die Beine von sich. Auf einmal gab er sich ruhig, kalt und schlau. »Ich habe gute Lust und lass' Sie umlegen«, sagte er mit einem Ton, als ob er ein Skatproblem löste.

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