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Prinz-Albrecht-Straße

Prinz-Albrecht-Straße

Titel: Prinz-Albrecht-Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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litten Schulter an Schulter. Wie immer: Todesangst und Lebenswille auf Tuchfühlung.
    Hundertmal hatten sie sich gesagt, was es zu sagen galt. Sie kannten ihre Heimatadressen auswendig. Wenn einer durchkommen sollte, würde er von dem toten Freund die letzten Grüße an die Angehörigen überbringen. Wenn …
    »Noch etwas«, sagte der Hauptsturmführer, »ich brauche einen Freiwilligen. Wer meldet sich?«
    Die Arme der Häftlinge waren wie aus Blei. Keiner hob sie. Der SS-Offizier lächelte fahl. Dann ging er auf die Leute zu. Wahllos und mechanisch schnappte seine Hand nach vorn. Ein gleichgültiger Koch, der ohne hinzusehen in das Bassin griff und sich einen fetten Fisch angelte. »Sie …«, sagte er und tippte Hans Mersmann auf die Brust.
    Der Häftling sah sich traurig und erschrocken nach seinem Freund um. Rosenstein nickte, ohne ihn anzusehen. Dann begegneten sich ihre Augen eine Sekunde. Zu einem letzten, verzweifelten, ergebenen Abschied. Sie sagten nichts. Kein Wort. In ihren Augen loderte alles, woran sie glaubten, und vor ihnen verschwamm alles, worüber sie verzweifelten.
    Ein mäßiger Stoß in die Rippen beendete die Szene. Draußen stand ein Kübelwagen. Ein SS-Mann spuckte aus und deutete auf den Sitz neben dem Fahrer. Hans Mersmann stieg ein. Der Wagen polterte los. Irgendwohin. In eine Zukunft, die nach Stunden zählte.
    Der Häftling hatte keinen Blick für die Landschaft. Der Wagen stoppte so abrupt, daß Mersmann mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe schlug. Jetzt stellte er fest, daß er in Oppeln war. Vor einem kasernenähnlichen Gebäude.
    »Komm«, sagte der Fahrer.
    Der Häftling in SS-Uniform folgte ihm einen halben Schritt zurück über ein Gewirr von Gängen. Der Bewacher stieß eine Tür auf. Es roch nach Karbol. Zwei Sanitäter sahen gleichgültig auf. Einer deutete mit dem Daumen in den Ambulanzraum.
    Sekunden später stand Mersmann vor einem bulligen SS-Arzt.
    »Sie also«, sagte er. Er sah an dem Häftling vorbei. »Sie wurden für eine Spezialaufgabe ausgewählt … Ich habe Sie zu untersuchen … machen Sie den Oberkörper frei …«
    Es ging ganz rasch. Das Schicksal meinte es gut mit Hans Mersmann. Er hatte bloß zu sterben. Weiter gar nichts. Fast unbewußt sogar.
    »Ihre Herztöne gefallen mir nicht …«, sagte der seltsame Arzt, »ich gebe Ihnen ein Stärkungsmittel.«
    Die Spritze war schon gefüllt. Der Arm wurde abgebunden. Sekunden später fiel Mersmann um. Wie tot. Morphium. Genug für eine Ohnmacht.
    Zu wenig zum Sterben.

70
    Das Stichwort fiel. Werner Stahmer straffte sich. Die Aktion startete. Wie gehabt. Er schlüpfte in seinen blauen Kittel. Der letzte seiner Leute rief zurück. Es war neunzehn Uhr. In einer Stunde und zwei Minuten würde zum erstenmal in sechs Jahren über einen deutschen Sender ein Text verlesen, den Goebbels nicht redigiert hatte.
    Die Hürde war der Pförtner des Gleiwitzer Funkhauses. Wenn er mich erkennt? fragte sich Stahmer.
    »Ich komme von der Firma …«, er nannte irgendeinen Namen, »ich muß eine Reparatur machen …«
    Der Portier nickte gleichmütig.
    Der Weg nach oben war frei. Hoffentlich war Sybille nicht im Haus. Stahmer sah sie nicht. Der Uhrzeiger trieb ihn vorwärts. In drei Minuten war es zwanzig Uhr zwei.
    Auf der Toilette nahm Werner Stahmer zwei Eierhandgranaten aus der Aktentasche und entsicherte die Pistole. Er schob sie in die rechte Tasche. Der Finger war am Abzug. Bis zum Senderaum waren es nur noch zwanzig Meter. Mehr als drei Leute werden nicht da sein, überlegte der Agent. Und unter Ausnutzung der Überraschung könnte ich auch fünf erledigen. Er schluckte, horchte wieder. Kein Mensch war im Haus. Seid vernünftig, bat Stahmer in Gedanken, geht in Deckung, spielt nicht Helden, nützt euch sowieso nichts. Uns auch nicht. Wir sind alle arme Schweine. Weiter gar nichts …
    Der Sekundenzeiger nahm die letzten Striche so gleichgültig wie die ersten. Stahmer stieß die Türe auf, über der rotes Licht flackerte. Nicht eintreten, hieß das. Der Befehl des Agenten lautete anders …
    »Was fällt Ihnen ein«, brüllte ihn ein Mann an.
    Im Hintergrund saß ein Mädchen. Das Zimmer war vom Senderaum durch eine Glaswand abgetrennt.
    Stahmer ließ die Tür offen. Er langte in die Tasche, als ob er eine Zigarette hervorkramen wollte. Dann richtete er den Lauf der Pistole auf den Mann. »Los«, sagte er. »Stellen Sie sich in die Ecke … Wenn Sie schreien, schieße ich … Sie auch«, befahl er dem

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