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Prinz-Albrecht-Straße

Prinz-Albrecht-Straße

Titel: Prinz-Albrecht-Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Männer.
    Zwei Minuten später erfuhr sie, daß sie gekommen waren, um sie abzuholen.

75
    Langsam, ganz, allmählich kam das Bewußtsein wieder. Das letzte Gewimmer, die vereinzelten Schüsse rissen den schwerverletzten Mann, der nicht sterben konnte, aus der Ohnmacht. Die Gedanken Herbert Rosensteins blieben einen Moment bei Maria stehen, bei der Frau, die er liebte.
    Rosenstein sah sie vor sich. Er spürte ihren wunden, wehen Blick. Er betrachtete das Gesicht, das tapfer bleiben wollte und sich gegen Tränen und Verzweiflung stemmte, so lange nur noch, bis es vorbei war, bis er es endlich geschafft, bis er ausgelitten hatte. Und der blasse Mund zuckte ein letztes Mal. Stumm schon. Kalt fast …
    Maria, sagte Rosenstein in Gedanken, nicht weinen … glaub mir, das ist gut so … besser für uns beide.
    Er sah, wie sich die junge Frau krampfhaft aufrecht hielt, wie sie ihm zulächeln wollte, wie sie es nicht schaffte, wie ihr Blick zur Seite ging.
    Wie damals, als sie ihn holten. Am Morgen. Von ihr weg. Vor ein paar Jahren …
    Es geht mir schon besser, dachte der Mann, der Unmenschliches aushielt, und … es tut ja gar nicht einmal … mehr weh.
    Die Schritte, die an seinem Kopf vorbeigingen, brachten Rosenstein wieder in die Gegenwart zurück. Die Wiese, der Überfall. Er sah sich um. Er lag in einer Reihe mit den ermordeten Kameraden. Sie haben mich für tot gehalten, überlegte er, deshalb bin ich hier. Nicht rühren. Oder doch? Vorbei ist vorbei …
    Dann hörte Rosenstein das Geräusch knapp neben sich. Ein blutjunger SS-Soldat in polnischer Uniform im Gras übergab sich. Der, dachte der Häftling, ein Mensch unter Mördern. Einer, bei dem noch das Gewissen oder wenigstens der Magen streikt.
    »Sie elender Schlappschwanz!« brüllte ihn sein Kompaniechef an.
    Der Soldat stand auf, sah sich um.
    »Fassen Sie mit an!« schrie ihn ein anderer an.
    »Drei eigene Leute tot …«, meldete ein dritter, »zwei schwerverwundet … Sollen wir sie wegtragen?«
    »Nein«, entgegnete der Kompaniechef, »legt sie rechts 'raus …«
    Seine Stimme klang belegt, gewürgt. Selbst ein gemeinerer Mörder wie er konnte vor dem letzten Teil seines Befehls schlappmachen. Es durfte keine Zeugen geben, keine Verwundeten. Selbst die eigenen Leute noch waren mit Genickschuß zu erledigen, wenn sie nicht mehr marschieren konnten …
    Ein Verwundeter in polnischer Uniform wurde an Rosenstein vorbeigetragen.
    »Bauchschuß«, sagte ein Träger.
    »Wasser …«, wimmerte der SD-Mann.
    Gebt ihm keins, dachte Rosenstein verschwommen. Flüssigkeit ist tödlich bei Bauchschüssen. Er wußte es noch aus dem Ersten Weltkrieg.
    »Los, abrücken!« befahl der Kompaniechef.
    Ein paar Leute griff er sich heraus. Sie hatten noch dazubleiben. Darunter der Junge, dessen Gesicht zuckte, der nicht wußte, wohin er sehen sollte, der wie gelähmt dastand vor Grauen und Entsetzen.
    Kommandos. Schritte. Zuerst traten sie fast noch sanft auf. Und dann, je mehr sie sich entfernten, wurden sie auch fester.
    »Nützt alles nichts«, sagte der Kompaniechef wieder. »Maier … nehmen Sie einen Mann mit … macht's so, daß sie es nicht sehen …«
    Wieder Schritte. Ein Klicken. Ein Schuß. Noch einer. Ein dritter. Nach langer Pause der Satz: »Befehl ausgeführt, Sturmbannführer.«
    Zuerst mußten die Lebenden die Verwundeten beseitigen und dann der Krieg die Lebenden …
    »Nehmen Sie die Taschenlampe … leuchten Sie die noch einmal ab … ich muß auf Nummer Sicher gehen …«
    Jetzt, überlegte Herbert Rosenstein und schloß die Augen. Er sah mit den Ohren. Schritte. Sie blieben stehen. Lichtschein.
    »Na, der sieht vielleicht aus …«
    Der nächste, Parade des Todes. Und die zerschlagenen Menschen brauchten nicht mehr mit Blickrichtung zu folgen. Ihre Augen waren starr, gläsern, aufgerissen, verdreht, tot.
    Jetzt, dachte Rosenstein zum zweitenmal.
    Vielleicht machte der Häftling eine Bewegung. Vielleicht zuckte er. Oder es sah nur so aus. Der Junge blieb entsetzt stehen. »Der … der bewegt sich noch«, keuchte er atemlos.
    Der Sturmbannführer trat auf ihn zu. »Damit Sie's lernen!« brüllte er den Neunzehnjährigen an. »Los!«
    Zwecklos, dachte Rosenstein. Seine Augen waren offen. Er starrte seinen Mörder an. Den Jungen. Er sah, wie er das Gewehr von der Schulter nahm, auf ihn anlegte, zwischen die Augen zielte, die ihm nicht auswichen.
    »Nicht so«, schrie der Anführer des Massenmordes, »Munition sparen! … Nehmen Sie den

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