Prinz Charming
liegt ein langer, anstrengender Tag vor uns.«
»Also reisen wir morgen ab?«
»Wenn ich alles rechtzeitig vorbereiten kann.«
»Soll ich noch heute abend packen?«
»Ich glaube, dafür sind wir zu müde. Das erledigen wir morgen.« Bei diesen Worten schaute Taylor zufällig nach unten und begegnete Daniels entsetztem Blick. Sofort erkannte sie den Grund seiner Angst. »Wohin auch immer ich gehe, du wirst mich begleiten, mein Junge. Niemals würde ich dich oder deine Schwestern zurücklassen. Von jetzt an bleiben wir immer beisammen.«
»Versprichst du das, Mutter?«
»Ja, ich verspreche es«, antwortete sie feierlich.
»Und wohin gehen wir?«
Diese Frage beantwortete sie nur teilweise und erklärte, sie würden mit der Bahn fahren. Da grinste er freudestrahlend. Sie gab ihm den Schlüssel zum Kinderzimmer und ließ ihn die Tür aufsperren.
»Was haben Hunter und Mr. Ross heute unternommen?<< fragte Victoria, nachdem sie Georgie ins Zimmer getragen und auf die Beine gestellt hatte.
»Das haben sie mir nicht verraten«, erwiderte Taylor.
»Werden wir Hunter jemals Wiedersehen?«
»Wahrscheinlich. Er ist schon lange mit Lucas befreundet und ich glaube, er wohnt in der Nähe von Redemption. Warum willst du das wissen? Möchtest du die Bekanntschaft fortsetzen?«
Victoria zuckte die Achseln. »Bisher hat er höchstens zehn Wörter zu mir gesagt. Und ist dir aufgefallen, wie er jedesmal die Stirn runzelt, wenn er mich anschaut?«
»Immerhin hast du dich auf dem Bahnsteig übergeben und seine Stiefel schmutzig gemacht«, gab Taylor lächelnd zu bedenken. »Und deshalb ist er auf der Hut, sobald du in seine Nähe kommst.«
Auf dem Weg zur Tür blieb Victoria zögernd stehen. »Ich erzählte ihm, mein Mann sei vor kurzem gestorben. Aber das Baby habe ich nicht erwähnt.«
»Warum nicht?«
»Nichts, was mich betrifft, scheint ihn zu interessieren. Er ist sehr unhöflich.«
Taylor fand keine Zeit, Hunter zu verteidigen, denn Victorria wünschte ihr eine gute Nacht, dann eilte sie ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer.
Müde rieben sich Georgie und Allie die Augen. Taylor brachte sie ins Bett, und sie schliefen sofort ein, ihre neuen Puppen im Arm. Inzwischen hatte Daniel sein Holzpferd aufs Fensterbrett neben dem Kopfteil seines Betts gestellt. Er lag bereits unter der Decke und wartete auf eine Gutenachtgeschichte. Sie erzählte ihm zwei, damit Daniel Boone und David Crockett gleichermaßen Aufmerksamkeit erregten.
Ehe sie ihm einen Kuß gab, merkte sie, daß er immer noch seine Stiefel trug. Sie überredete ihn, sie auszuziehen und neben das Bett zu stellen. Als sie eine Stunde später noch einmal ins Zimmer kam, um nach den Kindern zu sehen, schlief der kleine Junge tief und fest, beide Arme um seine Stiefel geschlungen. Nachdenklich betrachtete sie ihn und versuchte sich vorzustellen, welch ein Leben er auf den Straßen geführt haben mochte, bevor er in die Hände der schurkischen Border-Brüder gefallen war.
Lucas flüsterte ihren Namen. Rasch drehte sie sich um und sah ihn am Türrahmen lehnen. Wie lange er sie schon beobachtete, wußte sie nicht. Sie ging zu ihm, und er fragte leise: »Stimmt was nicht mit dem Kleinen?«
»Alles in Ordnung. Glaubst du, jemand sucht nach ihm?«
»Das bezweifle ich. Er erinnert sich an keine Familie, und er hat sich jahrelang auf der Straße herumgetrieben. Wäre er von irgendwelchen Verwandten gesucht worden, hätten sie ihn längst gefunden. Aber nun sollten wir den Behörden mitteilen, daß du ihn bei dir behalten willst.«
»Und wenn er mir weggenommen wird?«
Er seufzte. »Am besten überlegen wir uns das noch einmal«, erwiderte er, nahm ihre Hand und führte sie in den Alkoven. Neben dem Bett blieb er stehen und musterte seine Frau, die ein hellblaues Nachthemd und einen passenden Morgenmantel trug. Er selbst war immer noch mit einem weißen Hemd und einer schwarzen Hose bekleidet. Nach einer Weile schüttelte er den Kopf. »Wir müssen uns im Nebenzimmer unterhalten, aber dann würden wir die Kinder wecken. Hier kann ich unmöglich über wichtige Dinge diskutieren.«
»Warum nicht?«
»Das Bett ist zu nahe.«
»Oh...«
»Morgen muß ich abreisen.«
Die schmerzliche Verzweiflung traf Taylor völlig unvorbereitet. Von Anfang an hatte sie gewußt, daß sie sich trennen würden. Warum glaubte sie nun, das Herz müßte ihr brechen?
Vergeblich wartete er auf ihre Fragen. Er hatte bereits beschlossen, ihr keine Einzelheiten zu erzählen, sonst würde sie
Weitere Kostenlose Bücher