Prinz Charming
sie ihn, indem sie einfach seine Hand ergriff und sich wieder zu ihrem Publikum wandte. Ehe sie ihren Ehemann vorstellen konnte, begann der älteste Texaner zu sprechen. »Dieses süße kleine Ding gehört also zu Ihnen?« fragte er in seinem gedehnten Akzent.
Taylor wußte nicht, ob sie sich beleidigt fühlen sollte oder nicht. War es in Amerika üblich, Damen als »süße kleine Dinger« zu bezeichnen? Sie wollte sich danach erkundigen, aber sie kam nicht dazu, denn Lucas umfaßte ziemlich unsanft ihre Schultern. Offenbar wollte er ihr bedeuten, sie solle den Mund halten. Nun, diesen Wunsch würde sie ausnahmsweise erfüllen. Aber später würde sie ihm klarmachen, wie gründlich es ihr mißfiel, wenn er sie in der Öffentlichkeit so autoritär behandelte. Am liebsten hätte sie ihn gegen das Schienbein getreten, aber das wäre undamenhaft gewesen.
»Sie ist meine Frau«, verkündete Lucas, und der Besitzerstolz, der in seiner Stimme mitschwang, überraschte ihn selber.
»Aber sie trägt keinen Ring«, bemerkte ein anderer Texaner und musterte Taylor mißtrauisch. Nahm er an, sie hätte sich mit Lucas verschworen, um ihnen allen ein Streich zu spielen? Aber das ergab keinen Sinn.
»Trotzdem heißt sie Mrs. Ross«, entgegnete Lucas.
»Ross? So hat sie sich aber nicht vorgestellt«, betonte der erste Texaner.
Taylor hielt den Atem an, dann lachte sie beinahe über ihren Irrtum. »Oh, das hatte ich vergessen! Wir haben erst vor kurzem geheiratet.« Niemand schien ihr zu glauben, und sie fügte so würdevoll wie möglich hinzu: »Gentlemen, ich möchte Ihnen meinen Mann vorstellen, Mr. Lucas Ross.«
Was dann geschah, überraschte sie dermaßen, daß sie verwirrt blinzelte. Der älteste Texaner kniff die Augen zusammen, musterte Lucas und flüsterte ehrfürchtig: »Der Lucas Ross aus Montana?«
Taylor sah ihren Mann nicken. Dramatisch hatte sich seine Miene verändert. Sein sichtliches Unbehagen erregte ihr Mitleid, und sie hätte ihn gern gerettet, wenn sie auch nicht wußte, wovor.
»Der - Lucas Ross?« stammelte der Gentleman aus Ohio ungläubig.
»Ja«, seufzte Lucas.
Nie hätte Taylor geglaubt, erwachsene Männer könnten nach Luft schnappen, aber diese hier taten es. Von nun an wurde sie nicht mehr beachtet. Sie konnte gerade noch rechtzeitig beiseitespringen, sonst hätten die Männer sie umgeworfen, als sie auf Lucas zustürmten. In Sekundenschnelle war er dicht umzingelt, alle redeten auf einmal, wollten ihm die Hand schütteln und auf seine Schulter klopfen.
Vor allem die Texaner überschlugen sich fast vor Begeisterung. »Das darf doch wohl nicht wahr sein!« rief der älteste Vetter immer wieder.
Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht, Lucas Ross sei in der Halle des Hamilton House anzutreffen. Nach wenigen Minuten mischten sich die meisten Gentlemen in die Schar der freudestrahlenden Bewunderer. Alle wollten die Legende sehen.
Verdutzt beobachtete Taylor die Ereignisse und hörte immer wieder das Wort »Held«. Da der Bostoner in seiner Lobeshymne den Krieg erwähnte, nahm sie an, Lucas müßte seinen Ruf während der Kämpfe zwischen den Nord- und Südstaaten erworben haben. Natürlich wußte sie, was den Krieg verursacht hatte und wie er ausgegangen war. Sie hatte alle verfügbaren Zeitungsartikel über dieses Thema gelesen
- aber nichts über Lucas Ross.
Eine gute Viertelstunde lang beobachtete sie ihren Mann und seine enthusiastischen Verehrer. Da Lucas alle anderen überragte, konnte sie ihn leicht im Auge behalten. Auch er schaute mehrmals zu ihr herüber, um sich zu vergewissern, daß sie noch da war. Daß er soviel Aufsehen erregte, schien ihn nicht sonderlich zu beglücken. Und das Gedränge hinter seinem Rücken mißfiel ihm. Diesen Eindruck gewann Taylor, als sie merkte, wie er sich einen Weg zur Marmorstatue bahnte, um dicht davor Stellung zu beziehen. Offenbar wollte er sich Rückendeckung verschaffen, wie alle berühmten Revolverhelden in den Groschenromanen, die Taylor gelesen hatte.
Ein Gedanke führte zum anderen. Großer Gott, war Lucas ein Revolverheld? Hatte er auf diese Weise seinen Ruhm erlangt? Nein, natürlich nicht. Er war temperamentvoll und selbstbewußt, aber kein Killer. Das wußte sie instinktiv. Lady Esther hatte Erkundigungen über ihn eingezogen, aber keine Zeit gefunden, ihre Enkelin zu informieren. Vielleicht war ihr das auch überflüssig erschienen. Doch die Großmutter hätte sie niemals mit Lucas verheiratet, wäre er kein untadeliger
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