Prinz Charming
sie angegriffen.«
»Wär sie alt und verknittert?«
»Was macht das für einen Unterschied?«
Fast eine volle Minute lang starrte er in die unglaublich blauen Augen. »Einen gewaltigen Unterschied!« fauchte er dann.
Taylor beschloß, die Diskussion zu beenden, indem sie das letzte Wort hatte. »Bitte, sorg dich nicht um mich. Kein Fremder wird mir zu nahe treten, das versichere ich dir.«
»Und wie ist es mit deinem Ehemann?«
6
Und minder liebt, wer andern zeigt die Liebe.
William Shakespeare, Die beiden Veroneser
Der Mann hatte einen merkwürdigen Humor. Es dauerte eine Weile, bis Taylor verstand, worauf er anspielte. Sie war nicht böse, nur verwirrt. »Vor dir habe ich keine Angst, Lucas. Oder sollte ich?«
»Taylor...« Eine unmißverständliche Warnung schwang in seiner Stimme mit.
»Ja?«
»Gleich bin ich wieder da. Lauf nicht weg!« Er kniff in ihre Schulter, bis sie zustimmte. Dann kehrte er zur Rezeption zurück, und sie beobachtete, wie er zwei Hotelangestellten Schlüssel übergab. Nachdem er ein paar Worte mit den Männern gewechselt hatte, eilte er wieder zu seiner Frau. »Wir wohnen im selben Zimmer.«
Erstaunt blickte sie zu ihm auf. Das Arrangement schien ihm keineswegs zu behagen. »Hast du kein eigenes Zimmer bekommen?«
»Ich hab’s nicht genommen.«
»Warum nicht?«
»Weil du die Männer scharenweise anlockst.«
»Unsinn...«
»Wie auch immer, wir sind verheiratet und haben sogar schon im selben Bett geschlafen.«
»Aber - Lucas ...«
»Fang bloß nicht mit mir zu streiten an!« Er nahm sie wieder bei der Hand und führte sie zu ihrer Freundin, die immer noch auf dem Sofa saß. Seine Stirnfalten glätteten sich erst, als sie ihr Ziel erreichten. Lächelnd ließ er seine Frau los und half Victoria auf die Beine. »Sollen wir Sie jetzt in Ihr Zimmer bringen?« fragte er liebenswürdig.
»Oh, dann haben Sie also eins bekommen? In dieser Halle wimmelt es von Gentlemen, und deshalb dachte ich, alle Räume wären belegt.« Offenbar hatte sich Victoria wegen ihrer Unterkunft Sorgen gemacht, und Taylor wurde von Gewissensbissen geplagt. Sie hätte bei ihr bleiben und sie beruhigen sollen. In ihrem heiklen Zustand durfte sich die Freundin nicht aufregen. Werdende Mütter brauchten viel Ruhe, und die Ärmste wirkte völlig erschöpft.
»Verzeih mit, daß ich dich allein gelassen habe«, bat Taylor.
»Oh, du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, erwiderte Victoria, sichtlich verlegen, weil sie plötzlich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand. »Ein paar Gentlemen wollten mir Gesellschaft leisten, aber ich schickte sie alle weg. Was war denn drüben los? Warum brach dieser laute Jubel aus?«
»Das wird Taylor Ihnen später erklären«, mischte sich Lucas hastig ein. »Die Gepäckträger warten. Gehen wir nach oben?« Während sie die Treppe hinaufstiegen, spähte er mehrmals über seine Schulter, als hätte er es eilig, seinen Bewunderern zu entrinnen.
Die Räume lagen im dritten Stock, jeweils am Ende eines langen Korridors. Lucas überließ es seiner Frau, Victoria beim Auspacken zu helfen, und kehrte mit den Trägern in die Halle zurück. Dort gab er einige Anweisungen bezüglich der leeren Koffer und Truhen. Sie sollten später abgeholt und im Keller aufbewahrt werden.
In Victorias Zimmer waren die Wände zitronengelb gestri-
chen, und Taylor versicherte, diese Farbe wirke beruhigend auf die Augen. Es war kein großer Raum, aber elegant eingerichtet, mit Möbeln aus dunklem, poliertem Kirschbaumholz.
Taylor strich entzückt über die kunstvollen Schnitzereien an der Schranktür, die Blätter und Blumenranken darstellten. Während sie die Kleider auf Bügel hängte, trat ihre Freundin ans Fenster und bemerkte: »Ich wußte gar nicht, wie kultiviert Boston ist. So modern wie London, nicht wahr?«
»Ja, vermutlich. Unten gibt’s eine Wäscherei. Falls du irgendwas waschen und bügeln lassen willst, bekommst du’s noch am selben Tag wieder. Zumindest wird das in der Hotelbroschüre behauptet. Die Sachen werden in einer Maschine gewaschen, die sich dreht, von Dampf betrieben, und sogar darin getrocknet. Ist das nicht erstaunlich?«
Victoria gab keine Antwort. Besorgt drehte sich Taylor zu ihr um, sah sie auf dem Bett sitzen, die Hände im Schoß gefaltet, den Kopf gesenkt.
Sofort unterbrach Taylor ihre Tätigkeit und lief zu ihr. »Was bedrückt dich denn?«
»Nichts.«
»Bist du krank?«
»Nein.«
»Möchtest du dich vor dem Dinner ausruhen?«
»Ja, das wäre wohl
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