Prinz Charming
Ehrenmann.
Revolverhelden gerieten immer wieder in Schwierigkeiten. Das bestätigten die Geschichten über Ornery Eddie aus Wolkum Junction, die Taylor gelesen hatte. Unentwegt wollte Eddie kämpfen. Und der typische Revolverheld pflegte sich zu rühmen, er würde spätestens zehn Minuten nach seiner Ankunft in einer neuen Stadt jemanden erschießen. Ornery Eddie war nur ein Beispiel von vielen. In den Groschenromanen gab es noch hundert andere.
Aber Lucas paßte nicht in dieses Klischee. Von den Städten hielt er nichts. Statt dessen sehnte er sich nach Einsamkeit und freier Wildnis. Sogar das winzige, abgelegene Redemption war ihm zu dicht bevölkert.
Er haßte größere Menschenmengen, was seine Miene deutlich genug verriet. Daß er nun im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand, war ihm in tiefster Seele zuwider. Offenbar machte er Taylor dafür verantwortlich, denn er bedachte sie mit einem vorwurfsvollen Blick.
Aber warum sollte sie sich schuldig fühlen? Sie hatte nichts mit jener Legende zu tun. Trotzdem mußte sie ihn irgendwie retten. Seufzend schob sie sich durch das Gedränge, ergriff Lucas’ Hand und erklärte mit durchdringender Stimme, jetzt müßten sie gehen, sonst würden sie einen wichtigen Termin verpassen.
»Aber in den Flitterwochen sollten Sie sich nicht mit geschäftlichen Dingen abgeben«, bemerkte ein Texaner gedehnt.
»Oh, Sie sind jung verheiratet?« fragte ein Gentleman, den Taylor noch nicht kannte.
»Das darf doch wohl nicht wahr sein!« schrie irgend jemand in der Menge. Da Taylor diese Worte schon mehrmals gehört hatte, dachte sie, das wäre eine typische amerikanische Redewendung, die sie sich einprägen mußte.
Nun wurden sie von allen Seiten beglückwünscht. Zahlrei-che Hände klatschten auf Lucas’ Schultern, wobei ein Gentleman sein Ziel verfehlte und statt dessen Taylor traf. Beinahe wäre sie umgefallen, aber ihr Mann hielt sie fest. Sichtlich genervt, versuchte er, sie durch das Getümmel zu bugsieren.
Die Männer traten endlich beiseite, und Lucas zog Taylor quer durch die Halle. Schmerzhaft umklammerte er ihr Handgelenk. »Jetzt kannst du mich loslassen«, protestierte sie. »Sonst glauben die Leute womöglich, wir wären nicht glücklich verheiratet.« Ohne ihren Wunsch zu berücksichtigen, warf er ihr einen düsteren Blick zu, und sie flüsterte ungehalten: »Was für ein mürrischer Mensch du bist!«
»Früher war ich nicht so.«
»Heißt das, du warst früher umgänglicher?«
»Ja.«
»Wann?«
»Als ich noch nicht verheiratet war.«
Sie versuchte, keine Notiz von dieser Beleidigung zu nehmen. »Du verübelst mir, daß ich dich in diese unangenehme Situation gebracht habe, nicht wahr? Aber wenn du mir erzählt hättest, wie populär du bist, wäre ich niemals auf die Idee gekommen, dich diesen Gentlemen vorzustellen.«
»Warum hast du überhaupt mit ihnen geredet?«
»Wie bitte?«
Er seufzte tief auf. »Taylor, hat deine Großmutter dir nicht erklärt, wie gefährlich es ist, mit fremden Leuten zu sprechen?«
»Niemand würde es wagen, mitten in einer Hotelhalle über mich herzufallen.«
Wie naiv sie war! Verdammt, in diesem überfüllten Raum hätte man sie jederzeit unbemerkt packen und hinauszerren können. Das mußte er ihr klarmachen. »Und warum würde es niemand wagen, über dich herzufallen?«
Sie schaute ihm direkt in die Augen. »Weil du das nicht erlauben würdest.«
Diese prompte Antwort, in beiläufigem Ton ausgesprochen, besiegte seinen Zorn und traf ihn mitten ins Herz. Zunächst fehlten ihm die Worte. Das Kompliment schockierte ihn. Zum Teufel, sie ist viel zu vertrauensselig, dachte er. Wie konnte sie so bedingungslos an ihn glauben? Das fand er geradezu peinlich. »Du hast recht, ich würde niemandem gestatten, dich anzurühren«, hörte er sich murmeln.
Sie lächelte, er runzelte die Stirn, und plötzlich empfand er das überwältigende Bedürfnis, sie zu küssen. Aber bei ihrer nächsten Bemerkung besann er sich anders. »Zufällig weiß ich, daß eine Frau allein durch dieses grandiose Land reisen kann und niemals befürchten muß, fremde Leute könnten sie belästigen.«
Nun mußte er sie endlich zur Vernunft bringen. »Taylor ...«, begann er seine Lektion, die sie von ihrem lächerlichen Standpunkt heilen sollte.
Doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Das las ich in einem Buch, also muß es stimmen. Mrs. Livingstones Tagebuch, das ihre Reisen durch Amerika schildert, war sehr aufschlußreich. Kein einziges Mal wurde
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